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Wie der heilige Valentinus uns das Hassen lehrte

Kommentar von Ella Rank

Valentinstag – der Tag, an dem ein nacktes Baby durch die Luft fliegt, Herzchenpfeile verschießt und damit die Botschaft in alle Herzen rammt: Kauft! Unsere! Produkte! Seien es nun fluffige Teddybärchen, Pralinenschachteln in Pink oder diese ultraschmalzigen Liebeshits-CDs für 3,99€. Love is in the air. Unser Verstand fragt „Wollen wir den Amerikanern jetzt wirklich alles nachmachen?“, doch unser Herz schlägt sich die Hände vor den Mund und haucht „Ja, ich will.“

Nun würde man denken, ich persönlich hasse alles, was kaugummirosa auf heile Welt macht. Im Gegenteil, ich habe so ziemlich jede romantische Komödie gesehen, die je veröffentlicht wurde. Und führe eine alphabetisierte Liste, welche davon sehenswert sind. (Ja, ernsthaft.) Aber auch mir vergeht mein Filmgeschmack, wenn mir dank diesem artifiziellen Ami-Nachgemache überall Paare scheinheilig mit ihrer angeblich so perfekten #couplegoals-Beziehung vor der Nase herumwedeln. Das wäre ja alles in Ordnung, wenn es nicht so krampfhaft gestellt wäre. Denn wenn du wirklich einen speziellen Tag brauchst, um deinem Partner oder deiner Partnerin deine Liebe zu demonstrieren, dann sagt das mehr über eure Beziehung aus als mein Kaffeevorrat über meine Schlafgewohnheiten.

Irgendwie beeindruckt mich dieser Tag. Und ich gebe zu, er hat sogar auch seine guten Seiten. Meine persönliche Lieblingsbeschäftigung ist dabei das Zeitschriftenspiel. Das geht so: Man besucht den Supermarkt seiner Wahl, findet das Zeitschriftenregal und zählt, wie viele Magazine auf der Titelseite die ultimative Innovations-Mühelos-Abnehm-Diät und zwei Artikel weiter ein romantisches „Liebe geht durch den Magen“-Menü für zwei anpreisen. Macht noch mehr Spaß mit Freunden oder Geschwistern, denn was könnte schöner sein, als sich gemeinsam über die menschliche Dummheit lustig zu machen?

Doch was für mich an diesem ganzen „Fest“ das Faszinierendste ist: Die Valentinstag-Hasser. Menschen, die dir stundenlang die Ohren damit vollheulen, wie hässlich sie doch seien, dass sie nie eine*n Freund*in finden werden und irgendwann allein sterben und von ihren zwölf Katzen aufgegessen werden. Buhu! Es stört mich wirklich, dass „Stimmt“ an dieser Stelle keine sozial akzeptierte Antwort ist. Doch die Gedanken sind frei und so frage ich mich: Wie soll jemand denn auch mit dem Selbstbewusstsein einer Walnuss eine:n Freund:in finden? Kein Mensch hat die Geduld, dir alle drei Minuten zu sagen, dass du NICHT zu hässlich für diese Welt bist.

Mir ist klar, dass Selbstbewusstsein nicht vom Himmel fällt. Besonders als Mädchen besteht ein Großteil der Jugend daraus, mit unrealistischen Standards verglichen zu werden, bis man sich irgendwann selbst vergleicht. Dieses Model hat eine bessere Figur, jener Influencer hat ein schöneres Gesicht, warum bin ich nicht gleichzeitig groß, schlank und kurvig etc. etc. Und besonders an Valentinstag ist das ein großes Problem. Wohin man auch schaut, überall zwinkern Weltschönheiten von Werbeplakaten auf uns herab, die am diesjährigen „Tag der Romantiker“ ihren Freund mit dem neuen Parfüm von Giorgio Armani verführen werden. Und auch das Internet samt seiner Influencer wird bis ins Unendliche von Werbung überflutet. „Wir stecken das Insta in Valentinstag!“ Uns wird passiv-aggressiv eingetrichtert, dass all diese perfekten Menschen Teddys geschenkt bekommen, weil sie perfekt sind, während wir Normalos ohne die besagte Perfektion der Grund sind, warum an diesem Tag Pralinen verkauft werden. Es bleibt uns wohl nichts übrig, außer sich mit unendlich Schokolade und der darauffolgenden Endorphinüberdosis das Hirn wegzuballern.

Aber so wendet sich das Blatt. Denn dieses Jahr sind alle gleich, egal wie konventionell attraktiv, egal wie sich-in-einer-Beziehung-befindend, egal wie perfekt. Wir alle sitzen seit letztem März in unseren Jogginghosen vor dem Laptop, machen eine Packung Eis auf (bzw. leer) und suchen Netflix erfolglos nach noch nicht gesehenen Filmen ab. Und natürlich, unser Rücken nimmt immer mehr die Form eines Igels im Winterschlaf an, aber wir können trotzdem das Beste daraus machen. Lasst uns dieses Jahr nutzen! Lasst uns von der werbeinduzierten Dauerdepression befreien und neue Valentinstags-Traditionen schaffen, damit sich keiner mehr schlecht fühlen muss. Wir müssen lernen, uns selbst zu lieben.

Und damit ACTION für meine persönliche Lebenserfahrung/-weisheit. Nein, so ernst nehme ich mich nicht wirklich, und damit wären wir auch schon beim ersten Punkt. Lachen.

Lachen verbrennt Kalorien, sorgt für Endorphinausschüttung und wer mehr lacht, führt Studien zufolge ein insgesamt glücklicheres Leben. Noch dazu kommt meine persönliche Erfahrung: Ich wurde in dem Moment selbstbewusster, als ich gelernt habe, über mich selbst zu lachen. Man erkennt an, wie belanglos manche Dinge sind, nimmt sich selbst nicht zu ernst und lernt somit, sich selbst als Mensch wahrzunehmen. Sich nicht darum zu kümmern, was andere von deinem Outfit denken und sein Leben erfüllter leben. Die letzte Zeit war ernst genug. Und sind wir mal ehrlich, das ganze kommerzialisierte Ego-Bashing des Valentinstages kann man wirklich nur mit einem übermäßigen Sinn für Humor aushalten. Deshalb sollten wir alle am 14. Februar das Fundament für unser Selbstwertgefühl legen: eine Komödie schauen, mit einem:r Freund:in telefonieren, oder einfach nur MIT uns selbst ÜBER uns selbst lachen.

Und wir müssen aufhören, uns mit anderen zu vergleichen und vergleichen zu lassen. Wir sind eigene Menschen. Die Standards, die von den Massenmedien gesetzt werden, haben ein Verhältnis zur Realität wie ein Hallenbad zum Amazonas. Wer ungeschminkt in den Spiegel schaut und sich fragt, warum ein Hollywoodstar mit professionellem Make-Up, Beleuchtung, Nachbearbeitung, Zugang zu unbegrenzter Hautpflege und sogar Schönheits-OPs so viel besser aussieht als man selbst, der muss sich vielleicht gar nicht wirklich äußerlich verändern, sondern innerlich. Aber falls ihr trotzdem eine Beziehung wollt, was ja auch verständlich ist:

Fragt ihr euch oft, warum ihr single seid? Ob es an euch liegt, wieso euch keiner will oder was an euch so abstoßend ist? So weit, dass ihr es schon fast als Kompliment ansehen würdet, wenn euch jemand auf der Straße hinterherpfeift? Überlegt ihr manchmal, warum ihr nicht hübscher seid? Warum eure Nägel ständig abbrechen, eure Nase zu groß ist oder eure Beine zu dick sind? Dann kommt jetzt meine To-Do-Liste für euch. Denn egal, wie sehr ihr eine Beziehung wollt, es kann euch niemand wirklich lieben, wenn ihr selbst nicht glaubt, dass euch jemand lieben könnte. Wenn ihr all diese Dinge gemacht habt, dann garantiert das euch vielleicht nicht zwei Sekunden später eine:n heiße:n Disney-Prinz:essin, der:die mit weißem Schimmel und Tanzschuh des Weges entlanggeritten kommt, aber ich verspreche euch, es ist ein Schritt von der Küchenmagd in Richtung Cinderella. Also:

  1. Schau in den Spiegel. Zieh das an, worin du dich wohlfühlst, ob Ballkleid oder Jogginghose. Wenn du dich mit Make-Up besser fühlst, schmink dich, wenn nicht, dann lass es.
  2. Denk daran, dass jeder Mensch Unsicherheiten hat. Stell dir den schönsten Menschen der Welt vor, wer auch immer das für dich sein mag. Und dann überlegt, was er:sie wohl an sich ändern würde, wenn er:sie könnte.
  3. Und mach dir bewusst, dass dies der Körper ist, in dem du geboren bist. Klar, du könntest viel daran ändern – plastische Chirurgie und so – aber Größe, Hauttyp oder Gesicht bleiben. Und bevor du dein ganzes Leben damit verbringst, dich selbst zu hassen, wäre es doch eigentlich viel praktischer, damit klarzukommen.
  4. Stell dich dann vor den Spiegel und sag dir, dass du gut aussiehst. Du musst es nicht sofort auch so meinen, das kommt mit der Zeit.
  5. Und am wichtigsten von allem: Nimm dir Zettel und Stift. Schreib fünf Dinge auf, die du an dir magst. Wenn ich das kann, kannst du das auch. Ich mag meine Augen, meine Loyalität, mein Sprachgefühl, mein Organisationstalent und meine Haare. Jetzt du!
  6. Wenn du fertig bist, mach dir eine Tasse Tee und schau einen Film, du hast es verdient. (Nur bitte nicht Valentine’s Day (2010), der ist nämlich hochprozentiger Kitsch und ein gutes Beispiel dafür, wie man es NICHT auf meine allwissende RomCom-Liste schafft.)

Auf diese Weise kann man aus jeder Situation das Beste machen. Sogar die Hochphase des performativen Rumgeschmalzes kann man zu seinem Vorteil nutzen, wenn man es nur will. Uns wird das ganze Drumherum nur einmal erspart bleiben, also lasst es uns in vollen Zügen genießen! Ich sage nicht, dass wir das Ganze komplett abschaffen sollten, denn hey, ich bin nicht Gott und kann damit nicht entscheiden, welche zuckerwattigen Pseudo-Traditionen wir behalten oder doch diskret in die Mülltonne werfen. (Und wenn ich Gott wäre, dann würde ich da garantiert bei Gender Reveal Partys anfangen).

Aber was ich sagen will: Wenn es sowieso keinen Weg um den Valentinstag herum gibt, warum adaptieren wir das Ganze nicht zumindest so, dass jeder etwas davon hat und sich keiner außen vor gelassen fühlt? Jeder verdient Liebe, doch das sollte in mehr Richtungen gehen als nur die eine. Und genau wie Valentinstag nicht der einzige Tag im Jahr sein sollte, an dem man seinem Partner  oder seiner Partnerin Aufmerksamkeit schenkt, so sollten wir auch das ganze Jahr über mit uns selbst glücklich sein. Denn Beziehung hin oder her, ICH bin die Person, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen werde.

Autorin: Ella Rank