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Die Macht der Bildung

Kommentar von Irem Orhan

Wir alle haben Träume – kleine und große. Wir alle möchten im Leben etwas erreichen. Doch an manchen Momenten lassen uns die Größe unserer Träume zurückschrecken. In  solchen Momenten stellt man sich die Frage: Wie werden meine Träume Realität? Was  muss ich tun, um meine Träume wahr werden zu lassen? Was verhilft mir zum Glück?  Die Antwort steht bereits in der Frage: Tun – sei die Lösung. Doch so einfach ist das leider  nicht. Denn es steckt viel mehr dahinter. 

Als junges Mädchen wollte ich wie vermutlich so viele in meinem Alter nicht zur Schule  gehen, geschweige denn Abitur machen. Ich muss zugeben, ich hatte in meinem Leben  andere Ziele und Träume. Ich wollte meine Jugend genießen, die Freitag und  Samstagabende gut nutzen. Über Finanzen musste ich mir dank meiner Eltern keine  Sorgen machen und auf meinen nächsten Satz bin ich nicht so stolz, aber die finanzielle  Unabhängigkeit war keine meiner gesetzten Prioritäten.
Zugegebenermaßen war ich zu der Zeit „recht“ jung und umso dankbarer bin ich meinen  Eltern, die mir meinen Weg vorgelegt hatten und mir keinen Umweg erlaubten. Ich habe  verstanden, dass Bildung enorm wichtig ist. Vor allem für Frauen. Ich habe verstanden,  dass ich in Deutschland Möglichkeiten hatte und habe, von denen andere Kinder nicht  einmal träumen können. Ich war froh, dass ich die Kurve gekriegt habe, bevor es zu spät  war.
Dieser Wendepunkt kam durch einen Film. Ein Film über den Konflikt im Nahen Osten.  Ganz anders als im Westen durften die wenigsten Frauen lesen und schreiben lernen.  Doch wenn sie der Versuchung nicht widerstehen konnten, mussten sie einen hohen Preis  dafür zahlen. Fortan verstand ich, dass Bildung ein Privileg war. Sie ist der Grundstein für  eine persönliche Entwicklung und eine berufliche Laufbahn.

education is the most popular weapon which you can use to change the world

-Nelson Mandela

Man wünscht sich, dass Kriegsfilme nur erfundene Geschichten sind und immer sein  werden. Doch die Realität sieht anders aus. An viel zu vielen Orten der Welt wird mit  Waffen nur um sich geworfen, unschuldige Menschen werden innerhalb von Sekunden  getötet. Doch der ehemalige Präsident von Südafrika, Nelson Mandela, sagte  einst: Bildung ist die mächtigste Waffe, die Du verwenden kannst, um die Welt zu  verändern. Kein Problem, möchte man meinen, dann gehen wir eben regelmäßig zur Schule, ohne den  Sportunterricht zu schwänzen. Doch diese Möglichkeit haben noch immer die wenigsten  Kinder. Nach Angaben der UNESCO haben rund 250 Millionen Kinder keinen Zugang zu Bildung  (Stand: Juni 2020). Zu den Hauptursachen zählen dabei Wohnort, Armut und  Geschlechterungerechtigkeit. 
Laut einer Studie der Wochenzeitung „Zeit“ wurden im Jahr 2017 etwa 130 Millionen  Mädchen das Recht auf Bildung verwehrt. Insbesondere in Zentral- und Ostasien und in  Afrika ist die Lage dramatisch. Tendenz steigend.
Aus einem Beitrag der „Tagesschau“ vom 03.03.2021 geht hervor, dass  aufgrund der Corona Pandemie rund 463 Millionen Schulkinder, also jede:r dritte Schüler:in weltweit, keinen Zugang zu Unterricht hatte. Das Kinderhilfswerk UNICEF warnt vor einer  globalen Bildungskrise. Gerade in diesen aktuell schwierigen Zeiten fehlt einem der Gang  zur Schule und zur Universität. Worüber man sich vorher beschwerte, hofft man nun  wieder auf Normalität.

Armut, Kinderarbeit und Kindersterblichkeit sind nur wenige von vielen Folgen der  fehlenden Bildung. Für Mädchen erhöht sich das Risiko für eine Zwangsheirat, eine  Mutterschaft im Kindesalter und für ein gewaltvolles Leben.1

Ich sah in meinem Umfeld besonders Frauen, die mit den Folgen der Bildungslücke zu  kämpfen hatten. Ich schämte mich für mein fehlendes Interesse an Bildung, doch  bedauerlicherweise hatte ich nicht das Gefühl, dass ich eine Ausnahme war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Großteil der Frauen von einem guten Schulabschluss, einer  Ausbildung oder von einem Studium träumten. 

Ganz im Gegenteil hatte ich den Eindruck, zum Teil auch der sozialen Medien zu  verschulden, dass von einer Instagram oder YouTube Karriere geträumt wurde und wird.  Wer in beiden Plattform erfolgreich ist, hat im Leben so einiges erreicht. Da kann man sich  gleich eine Scheibe von abschneiden. Wem dieser Weg zu schwierig erscheint sucht sich  eben einen wohlhabenden Partner.  

Doch woran liegt das und warum nutzen wir stattdessen nicht die Möglichkeiten, die uns  gegeben werden? 

Die Gründe sind vielfältig. Viele Schwierigkeiten, mit denen vor allem Frauen im  Arbeitsleben konfrontiert werden, sind ausschlaggebend für ein geringes Interesse am  beruflichen Erfolg. Nach wie vor sind Frauen in den Führungsetagen eine Seltenheit. Die  starke Konkurrenz, der Wettbewerb, die Vereinbarung von Familie und Beruf, die  klassischen Geschlechterrollen, Geschlechterungleichheit und Chancenungleichheit sind  nur einige von vielen Faktoren, die den Wunsch einer erfolgreichen Karriere im Weg  stehen.2 

Worin besteht die Ungleichheit der Geschlechter und wie werden Frauen benachteiligt? 

Eine Ungleichheit ist die schlechtere Bezahlung. Nach Angaben des ZDF besteht die  Lohnlücke zwischen Frauen und Männern im Durchschnitt 19 Prozent, bei einer  vergleichbaren Tätigkeit sechs Prozent. Es besteht ebenfalls eine Unterrepräsentation in  Führungsetagen, nur 29,4 Prozent der Führungskräfte sind Frauen. Darüber hinaus erfährt das weibliche Geschlecht häufiger Gewalt: 81.04 Prozent wurden  2019 Opfer von Partnerschaftsgewalt. Im Vergleich, bei den Männern liegt der Anteil der  Partnerschaftsgewalt bei 18,96 Prozent. 

Credit: Matt Dunham

Frauen werden ebenfalls weniger erforscht und verbringen mehr Zeit mit unbezahlter  Arbeit. Die Liste könnte so weitergehen, doch ein weiterer Punkt ist zunächst einmal die  Chancenungleichheit. 

Gründe hierfür sind wiederum die Sozialisation, die Erziehung und vor allem die  Gesellschaft. Was hört man denn bitte nicht häufiger als „starke Männer und tapfere  Ritter“, wohingegen Mädchen schon früh erzogen werden sich um die Püppchen zu  kümmern und sie natürlich auch richtig zu erziehen. Das Muttersein wird jungen  Mädchen früh mit in die Wiege gelegt. Sobald man zu jungen Damen heran wächst, wartet  schon die nächste Aufgabe auf uns: den passenden Ehemann finden. Schon als kleines  Mädchen wurde ich Zeugin der Problematik, was die Gesellschaft doch nur denken  würden, wenn man bis Mitte zwanzig nicht verheiratet ist. Ist man etwa nicht attraktiv  genug, oder vielleicht im Haushalt nicht begabt genug? Doch die wenigsten haben sich  damit auseinandergesetzt, dass einige Frauen all dies sich für ihr Leben gar nicht  wünschen. Es wird uns vorgegeben: So und nicht anders! Wie kann man durch  gesellschaftliche Muster und Ideale ankämpfen? Tja, das wird eine harte Aufgabe, doch an  sie heranzugehen lohnt sich. Festgestellt werden kann ist, dass zum größten Teil unsere  Gesellschaft und der Erziehungsstil die Chancenungleichheit fördern kann und Frauen  dadurch Steine in den Weg gelegt werden. 

Zum Schluss möchte ich den Sexismus im Berufsalltag aufgreifen. Sexismus ist  bedauerlicherweise Bestandteil des Alltages und des Berufslebens. Doch er wird nicht nur  von Männern verursacht, beide Geschlechter sind zu Sexismus fähig. Ich möchte ein Beispiel nennen, das aus dem Buch „pretty happy“ von Nena Schink und Vivien Wulf  hervorgeht. Die Geschichte handelt von einem Manager, der in der Industrie tätig ist.

„In meinem engsten Tätigkeitsumfeld kann keine Frau für mich arbeiten. Schon gar keine  gutaussehende. Man würde uns nicht nur eine Affäre andichten, sondern mir unterstellen,  ich hätte sie aufgrund ihres Aussehens eingestellt. […] Ich bin mir heute sicher, dass die  meisten Vorstandsassistenten männlich sind, weil kein Vorstand Lust auf Gerede hat.“ 

Vielleicht ist dies eine Teilantwort auf die Fragen, die wir uns im Laufe des Kommentars  gestellt haben. Zugegebenermaßen hat mich diese Geschichte schockiert. Schon erstaunlich,  wie unsere Mitmenschen uns, unsere Persönlichkeit und unsere berufliche Laufbahn  beeinflussen können. Im negativen Sinne. Eine Lehre, die ich mir nicht nur durch diese  Geschichte, sondern viel früher gezogen habe? Es sollte uns herzlich egal sein, was andere  von uns denken und halten. Es ist wichtig, sich respektvoll zu behandeln und gute  Leistungen zu erbringen, aber genauso gut können uns Menschen im Weg stehen, wenn  wir uns zu sehr darum kümmern, was sie von uns halten.  

Nichtsdestotrotz möchte ich mit einer positiven Anmerkung abschließen. Es ist ein  positiver Trend zu bemerken. Der Anteil der Studienanfängerinnen ist so hoch wie nie  und auch die Anzahl der Führungskräfte steigt, wenn auch nur gering, aber sie steigt.  Ebenfalls bemühen sich zahlreiche Organisationen um eine Gleichheit der Geschlechter.  

Die Bildung ist enorm wichtig, für alle, aber vor allem für Frauen. Viel zu sehr müssen wir  im Falle einer fehlenden Bildung mit den Konsequenzen leben. Im besten Falle haben wir  die Möglichkeit dazu, wir müssen nur den Mut haben, sie auch zu nutzen. Ich hoffe ich  konnte einige junge Frauen dazu ermutigen, sich für die Bildung zu entscheiden. Um sich  vor Unterdrückung zu schützen und um eine Stimme zu haben. Ich hoffe ich konnte einige  Eltern dazu ermutigen die Bildungslaufbahn der Kinder zu unterstützen und die  kulturellen Hintergründe im Hintergrund zu lassen. Wir können nicht entscheiden, wo wir geboren werden. Wenn wir die Möglichkeit der  Bildung haben, müssen wir sie auch nutzen. 

Vielleicht erreichen wir mit Bildung mehr als wir erträumen können und vielleicht verhilft  sie uns dazu, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wenn auch nur ein kleines  bisschen. Auch wenn es nicht einfach erscheint. 

Autorin: Irem Orhan

1https://www.plan.de/fileadmin/website/05._Ueber_uns/Presse/WeltMaedchentag/Plan_Because_I_am_a_Girl_Position.pdf Zugriff vom 13.03.2021 

2 https://coaches.xing.com/magazin/warum-frauen-nicht-manager-werden-wollen-und-die-frauenquote-keine loesung-ist Zugriff vom 13.03.2021