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Vier Alben reichen aus – We Were (Are) The Ocean

Alles hat ein Ende. Vor dieser unbequemen Wahrheit sind auch Musiker nicht sicher. Im letzten Jahr musste ich Abschied von mehreren Bands nehmen. Seien es nun die Post-Hardcore Gruppe Chiodos oder die Pop-Punk-Veteranen von Yellowcard, es gab 2016-2017 einige Bands, deren Auflösung ziemlich überraschend kam. Am meisten getroffen aber hat mich die Trennung einer ziemlich unbekannten Alternative Rock Band aus Großbritannien. Dabei habe ich die Musik von We Are The Ocean erst vor ca. vier Jahren entdeckt, und damit die Hälfte ihrer Geschichte verpasst.

Ihre ersten Schritte machte die Band 2008 auf dem mittlerweile ziemlich unpopulären Netzwerk MySpace, das damals für den Erfolg ziemlich vieler Künstler verantwortlich war. Aufgrund meines späten Einstiegs bekam ich von dieser Zeit nichts mit, aber die Songs konnte ich früher oder später schon noch nachholen. Mein erster Kontakt mit We Are The Ocean vollzog sich 2013, als ich, fasziniert vom Streaming-Dienst Spotify, eine neue Band nach der anderen suchte. Mich von ihrem Sound zu überzeugen war kein großes Problem für die Band, da ich zu dem Zeitpunkt meine musikalische Genre-Präferenz auf Alternative Rock festlegte und so ziemlich alles aus diesem Genre rauf und runter hörte. Da kam mir ihr zweites Studioalbum Go Now and Live gerade recht. Die eingängigen Melodien und der hervorragende Wechsel zweier unterschiedlicher Gesangsstimmen, gerade in Songs wie Trouble Is Temporary, Time Is Tonic oder The Waiting Room, überzeugte mich direkt und ich hatte eine weitere Band, deren Songs ich unterwegs aufdrehen konnte.

Schnell wollte ich mehr hören und entdeckte ihr drittes Album, namentlich Maybe Today, Maybe Tomorrow. Auch wenn Go Now and Live auch schon einige langsame Tracks bot, hatte ich das Gefühl, dass die Band hier ein wenig auf die Bremse getreten ist. Ihre Songs wurden nicht schlechter, aber generell war der Ton auf diesem Album etwas ruhiger. So richtig abrocken konnte ich hier nur zu Bleed und The Road (Run for Miles), der Rest hat mich eher zum Nachdenken angeregt. Gefallen hat mir der Sound dennoch, auch wenn hier schon der Zeitpunkt gekommen war, an dem Dan Brown (nein, hierbei handelt es sich nicht um den Thriller-Autor), der der Band die rauere und kräftigere Zweitstimme zur Verfügung stellte, sich aus dem aktiven Musikgeschäft zurückgezogen hatte und nur noch als Manager der Gruppe fungierte.

Mit den beiden Alben war ich dann für zwei Jahre lang zufrieden, wobei sich mein Musikkonsum von Alternative Rock (der aber immer noch ein Teil dessen war bzw. ist) mehr in Richtung PostHardcore entwickelte. 2015 wurde ich dann durch bestimmte Bands aus diesem Genre an den Stimmwechsel, der mir bei We Are The Ocean so sehr gefallen hat, zurückerinnert, was mich dazu brachte auch mal ein paar ihrer alten Tracks zu hören. Glücklicherweise hat es jeder Song der MySpace-Ära auf ihr erstes richtiges Studioalbum geschafft, sodass ich alle verpassten Songs nachholen konnte. Lustigerweise passt dieses Album viel eher in das Genre des Post-Hardcore als zum Alternative Rock, da sich die Gesangspassagen in den Refrains in beinahe jedem Song mit verschiedenen Screams von Dan abwechselten. Wenn mich nun jemand nach meinem Lieblings Post-Hardcore-Album fragen würde, dann wäre meine Antwort Cutting Our Teeth von We Are The Ocean. Ziemlich tiefgründige Texte, die übrigens auf jedem ihrer Alben stark vertreten sind, vorgetragen von einer klaren Gesangsstimme in Verbindung mit einer rauen Screamstimme, strukturelle Unterschiede der verschiedenen Songs (nicht immer nur das Standard-Rezept eines Rock-Songs) und eine gesunde Mischung aus ruhigen, nachdenklichen Tracks und dyamischen, sowie kräftigen Rock-Songs, haben mich auf ganzer Linie überzeugt, sodass ich zu diesem Album immer wieder zurückkehren kann, ohne auch nur einen Hauch von Langeweile zu verspüren.

Im Gegensatz zum Post-Hardcore auf Cutting Our Teeth veröffentlichte die Band noch im selben Jahr ihr viertes Studioalbum, das auf den Namen Ark hört, dessen Sound sich in eine komplett andere Richtung bewegte. Als Fan des Stimmwechsels bemerkt man das Fehlen der zweiten Stimme enorm, dementsprechend war ich zu Beginn ziemlich enttäuscht. Ein Jahr später hab ich mir, mit der Überlegung, dass ihr Sound auch vorher schon mit jedem Album etwas radiotauglicher wurde, Ark noch ein paar mal angehört und auch genauer auf die Texte geachtet. Hier ist wieder viel zum Nachdenken dabei und nach drei Durchgängen hatte ich mich dann auch an den Sound gewöhnt. Es gibt bis heute noch den ein oder anderen Song, den ich nicht so gerne höre, wie alles andere von dieser Band, aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass Ark keineswegs ein schlechtes Album ist.

Anfang 2017 wurde die Nachricht ihrer Auflösung bekannt gegeben, dementsprechend war meine Gefühlslage ziemlich am Boden. Jedes ihrer Alben habe ich dann noch ein paar Mal komplett durch gehört und auch ein paar Songs, die ich vorher nicht so gut leiden konnte, für ziemlich gut befunden (Es geht mir aber bei vielen Bands so, dass ich manche Songs öfter hören muss, damit sie mir gefallen). Tourdaten für Abschiedskonzerte wurden veröffentlicht und ich hab ziemlich lange überlegt, ob ich eine ihrer letzten Shows besuchen sollte. Glücklicherweise wurde mir diese Entscheidung abgenommen, da ich zum Geburtstag Tickets für ihren Auftritt in München, der für Mitte März datiert war, geschenkt bekam.

Eigentlich bin ich kein großer Fan von Konzerten, da mir das immer zu chaotisch ist. Livemusik ist schön, aber ich höre Musik lieber alleine oder in einer kleineren Gruppe. Dieser Auftritt aber war der beste, den ich in meinem kurzen Leben bisher erleben durfte. Die Atmosphäre war super, das Publikum hat sich bei allen Songs extrem stark eingebracht und aufgrund der niedrigen Bekanntheit war der Saal nicht prall gefüllt, was den Chaosfaktor in Grenzen hielt. Da Dan nicht mehr als aktiver Musiker dabei ist, musste seine Screams ein anderes Mitglied übernehmen, deshalb kamen die ein wenig zu kurz, aber der klare Gesang von Frontsänger Liam Cromby war auch live absolut fantastisch. Ein kurzes Privatgespräch nach dem Konzert mit ihm war dann das Highlight des Abends.

Auch wenn ich We Are The Ocean erst 2013 kennen gelernt habe (und leider erst später ihr grandioses erstes Album nachgeholt habe) und sie sich jetzt schon auflösten, hat diese Band mich in den letzten vier Jahren durch Unmengen an verschiedenen Lebenssituationen begleitet, sodass sie zu einer meiner absoluten Lieblingsbands geworden sind (Und sie waren die erste Band, die mir gezeigt hat, warum viele Bands dieses Genres mit zwei unterschiedlichen Sängern arbeiten). Egal in welcher Stimmungslage ich mich befinde, We Are The Ocean hat immer einen passenden Song für mich parat. Es waren nur vier Studioalben und dementsprechend (im Gegensatz zu vielen anderen Bands) eine überschaubare Anzahl an Tracks, die die Jungs veröffentlichten, bevor sie aufhörten Musik zu produzieren, aber ich werde höchstwahrscheinlich nie wirklich aufhören ihre Musik zu hören.

Text: Felix Kellig
Bilder: We Are The Ocean/Facebook