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Erfahrungen im Auslandssemester: „SI PERO NO“

Man kann sich sicher sein, dass ein Thema ein Land fesselt, wenn man es den ganzen Tag an verschiedenen Stellen in Gesprächen hört. Oder ständig im Radio, Fernsehen oder der Zeitung daran erinnert wird. Oder auch nachts um zwei in der Disko darauf angesprochen wird:

Hey, was hälst du eigentlich von dem Katalunischen Unabhängigkeitsreferendum?“

Die Gretchenfrage Spaniens der letzten Wochen. Der letzten Wochen? Nicht wirklich, denn hier ist Katalonien schon viel länger ein immer wiederkehrendes Thema.

Die autonome Gemeinschaft im Nordosten Spaniens war schon immer ein wenig besonders. 2012 verboten sie den Stierkampf, Touristen die in Katalonien mit ihrem Spanisch glänzen wollen stoßen bald auf ein Problem: Katalanisch, ein bisschen wie Spanisch aber dann doch nicht. Si pero No, das Leitmotiv dieses Kommentars. Und dann ist da das immer wiederkehrende Thema der Unabhängigkeit Kataloniens. Ein unterschwellig immer da zu scheinender Konflikt, der ab und an aufkocht.

Der Konflikt fängt schon im 17. Jahrhundert an, Madrid unterdrückt Katalonien, nimmt ihnen nach 15-monatiger Belagerung quasi alle Rechte. Was danach folgt, ist der ständiger Versuch Kataloniens, sich von Spanien abzuspalten. Zum Beispiel am 8. März 1873. Klappte nicht so wirklich, der nächste Versuch lässt nicht lange auf sich warten: 1934. Dann ein wenig Pause, 2006 die erneute Verabschiedung eines Gesetzes, das Katalonien die Autonomie bringen soll. Wer grätscht dazwischen? Genau: Madrid. 2010 ist ein anderes Jahr, derselbe Wunsch, dieselbe Ernüchterung.

Jetzt also ein weiterer Versuch. “1-O“ stand in diesem Fall nicht für ein 1:0 im Konflikt Katalonien gegen Madrid, sondern für das Referendum am 01.Oktober 2017. Tage davor schon Menschenmeere und Flaggen, nicht nur in Barcelona, sondern auch in Madrid. Die einen sind für die Autonomie, die anderen vehement dagegen. Am Tag des Referendums schickt Madrid die „Guardia Civil“ (Spanische Polizei) nach Barcelona, Menschen bewachen Urnen, besetzten Schulen. Die Polizei greift hart durch, denn obwohl man das Referendum in Madrid offiziell verboten hat, ist das Ganze der spanischen Regierung um Präsident Rajoy doch nicht ganz geheuer. Die Bilder gehen um die Welt, Barcelona wird jetzt nicht nur von unzähligen Touristen, sondern auch von genauso vielen Journalisten besucht.

Am 10. Oktober kommt es dann zur lange erwarteten Verkündigung des Resultates durch Carles Puigdemont, dem Ministerpräsidenten Kataloniens. Tage zuvor hat sich schon gezeigt, was da auf das reiche Katalonien zukommen könnte: Wichtige Banken und Firmen sind regelrecht in andere Städte Spaniens geflüchtet, Madrid hat harte Konsequenzen angedeutet für den Fall einer Autonomie. Kein Zollabkommen, keine EU, kein Euro – vielleicht waren es letztendlich diese Konsequenzen, die Puigdemont dazu bewegt haben, die Unabhängigkeit nicht zu verkünden. Obwohl, irgendwie schon. Si, pero No:

„Wir gründen die katalanische Republik als unabhängigen und souveränen Staat.“

Wenige Sekunden später schiebt er dann hinzu:

Die Regierung und ich schlagen vor, dass das Parlament die Konsequenzen dieser Unabhängigkeitserklärung aussetzt, um in den kommenden Wochen einen Dialog aufzunehmen.“

Carles Puigdemont am 10. Oktober 17

Quasi im selben Satz hat der katalonische Präsident die Republik ausgerufen und wieder beendet. Ganze acht Sekunden lang war Katalonien ein eigener Staat. Ein kurze Auflistung von Dingen, die langlebiger sind als dieser neue Staat es gewesen ist:

  • Scaramucci im Weißen Haus (10 Tage)
  • Neujahrsvorsätze (variieren zwischen 0.03 Sekunden und einigen Wochen)
  • Angebrochene Schokolade (Individuell, Minuten bis Tage)
  • Lebenserwartung einer Eintagsfliege (40 Minuten bis zu wenigen Tagen)
  • Diese Liste (7 Sekunden)

Was jetzt die Reaktion aus Madrid sein wird zeigt sich in den nächsten Tagen. Bis dahin summieren sich die spanischen Flaggen an den Balkons Madrid und die Katalanischen in Barcelona. Bis es zu einem weiteren Schritt kommt, wurde am 12.Oktober erst einmal der spanische Nationalfeiertag gefeiert. Während Madrid mit einem großen Militäraufgebot und etlichen Festivitäten seine Nation und sich selbst feierte, liegt in Barcelona schon die Unabhängigkeitserklärung im Schrank. Viva España!

Autorin: Leonie Maderstein