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Album der Woche KW 20: Das Schwarze Album – Haftbefehl

Hart. Rough. Eklig. Echt. 

Das ist die Musik von Aykut Anhan alias Haftbefehl. Die  Offenbacher Raplegende und Vorbild für eine ganze Generation junger Menschen aus Problembezirken erzählt aus seinem Leben – einem Leben, in dem er sich von ganz unten hocharbeiten musste und unfassbar viel Scheiße erlebte. Aykut erzählt vom Dealen,  Drogenproblemen, seinem Vater der sich das Leben nahm und Waffen.

Nachdem Hafti das große Comeback „Das Weiße Album“ im Jahr  2020 veröffentlichte, wurde einmal mehr klar, mit wem wir es zu tun haben. Haftbefehl ist der authentischste und künstlerischste  Rapper, den Deutschland wohl jemals zu Gesicht bekommen wird. Mit experimentierfreudigem Sound und überragenden Singles festigte Hafti Abi seinen Platz an der Spitze der deutschen Hip Hop-Landschaft. 

Nur wenige Monate später bringt Baba Haft jedoch das Gegenstück zu DWA raus – „Das Schwarze Album“. Und der Name ist  Programm – noch nie zeigte sich Haftbefehl so ehrlich, so kaputt, so tiefgründig. Das neuste Release zeigt in Sachen Düsterkeit neue Welten auf und ist dabei trotzdem zu 100% Azzlack, zu 100%  Offenbach, zu 100% Haftbefehl.

Kaputte Aufzüge“, der erste Track des Albums, zeigt direkt, wohin es geht – in die kaputte Kindheit von Aykut, mitten im Ghetto von Offenbach am Main:

Das Treppenhaus riecht nach Kush.

Im Feuermelder verstecken wir Packs mit Schnuff.

Crackrauch liegt in der Luft.

Der Drecksaufzug ist kaputt, kennst du das, kaputte Aufzüge?

Haftbefehl – „Kaputte Aufzüge“

Wieder am Block“ mit Soufian ist der perfekte Track, um Eindrücke von einer ekligen Gegend und noch ekligeren Problemen zu bekommen. Haftbefehl und Soufian, ein hungriger junger Rapper, der mit Haftbefehls Musik aufgewachsen ist, harmonieren perfekt  auf dem düsteren Beat von Bazzazian. 

Davon, wie Haftbefehl seit 2010 Straßenrap und den Sprachgebrauch von Ghetto bis Oberschicht verändert und geprägt  hat, brauchen wir gar nicht reden. Nicht ohne Grund ist sein Wortschatz (eine Mischung aus Deutsch, Arabisch, Türkisch,  Englisch, Französisch, Bosnisch, Kroatisch und weiteren Sprachen) mittlerweile die universelle Sprache auf der Straße, von Kleindealer über Gymnasiast:in. Haftbefehl selbst sagt dazu sinngemäß: „Das  ist einfach, wie wir auf der Straße reden“. 

Dabei darf nie vergessen werden, dass das Ganze mehr als Gerede ist – die nächsten Tracks „Kokaretten“ und „Crackküche“ zeigen auf, wie problematisch und gefährlich das Leben vom Frankfurter Hauptbahnhof bis in die Hochhaussiedlungen von Offenbach ist.

Was wisst ihr schon vom Flex ticken?

Location, Dreckshütte.

Im Ghettoblaster läuft Hafti Abi. -Cr-Crackküche.

Schmeiß den Gasherd an und reich mir die Streckmittel. Die scheiß Bull’n stressen und die Junkies belästigen.

Haftbefehl – „Crackküche“

Auf lyrischer Ebene hat Haftbefehl auf nochmal einen riesigen  Schritt gemacht. Klar, Hafti rappt vom Kokain rotzen, von F*tzen oder den vielen Drogen und Waffen im Wohnhaus, kreiert aber  zeitgleich durch die düsteren Beats und seinen einzigartigen Flow starke Bilder; wie das Auswaschen der Schmauchspuren in seiner  Seele. 

Mit dem Track „4 Kanacken“, auf dem Aykuts Bruder Capo,  langjähriger Freund Veysel und Sänger Ezhel vertreten sind, bricht  das Album, denn auf musikalische Ebene passiert in den nächsten Tracks sehr viel Ungewohntes. Auch „24/7“ mit Farid Bang wirkt, wie das ganze Album, unglaublich durchdacht und konzipiert. 

Auch Anspielungen an seine frühere Musik ist wiederholt zu finden: Du weißt dass es Haft ist“, ist eine Hommage an „Ich ficke dich von 2013, zu finden auf dem indizierten Album „Blockplatin“.

Mit den zahlreichen Featuregästen macht Haftbefehl auch alles  richtig – verschiedene Künstler:innen aus dem Deutschrapkosmos versammeln sich, um Teil eines großen Albums zu werden. Auf dem  Track „Ruff“ mit Luciano gibt Baba Haft ein Statement nach dem anderen ab.

Du machst Portmucke, ich Blockmucke.

Nix für Teenies, sondern die, die Stoff pushen.

Für die, die Ot buffen, nebenbei Rocks bunkern.

Mit der Zunge im Mund, direkt am Block, Junge.

Haftbefehl – „Ruff“ (feat. Luciano)

Das letzte Drittel vom Schwarzen Album hat es noch einmal in sich: Auf „Cripwalk aufm Kopf“ liefert Hafti in Zusammenarbeit mit  Haiyti und Milonair einen weiteren Banger, ehe es zum wohl musikalischsten Stück geht: „Leuchtreklame“ mit Schmyt und  Bausa schafft es, eine ganz eigene unbeschreibliche Atmosphäre  zu schaffen, die irgendwo zwischen episch, gottesfürchtig und kaputt ist. 

So tiefgründig und dreckig wie das Album angefangen hat, endet es  auch. Mit „EMSF“ („Engel mit schwarzen Flügeln“) und den Zeilen Wozu täglich ein Buch reden, wenn eine gute Tat genügt? Wir lieben Geld und erwarten Paradies“  beendet Haftbefehl sein grandioses „Schwarzes Album“ und füllt  eine Lücke im Herzen jedes Haftbefehl-Fans.

Musikalisch und lyrisch verbessert sich Aykut gewaltig, ohne auch nur ansatzweise etwas an seiner Authentizität und seinem Inhalt zu ändern. Die Musik von Haftbefehl ist definitiv nicht für jede:n  gemacht, teilweise viel zu hart oder drüber – wenn man sich jedoch mit Haftbefehl auseinandersetzt, wird klar, wie viel er der Straße zu  verdanken hat, wie weit er es bis heute geschafft hat, und dass er niemals aufhören wird, der Straße und der Jugend alles erdenklich mögliche zurückzugeben. Haftbefehl wird nicht umsonst als letzter  großer Rockstar der heutigen Musik bezeichnet. „Das Schwarze  Album“ unterstreicht das.

Autor: Alex Gubert