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Rezension: „Soul“

Bild: Disney

Kennt ihr dieses Gefühl, einen Film die ganze Zeit vor euch herzuschieben, nur um ihn dann endlich zu schauen und sich zu fragen: „ Warum hab‘ ich den nicht schon viel eher geschaut?“ Genauso erging es mir mit Pixars „Soul“, der am 11. Oktober 2020 auf dem Londoner Film Festival seine Premiere hatte und am 25. Dezember auf Disney Plus erschienen ist. Die Regie und das Drehbuch von Pete Docter hat nicht umsonst den Oscar 2021 für den besten Animationsfilm bekommen. Der knapp zweistündige Film hat folgende Handlung:

Joe Gardner ist ein freistehender Musiklehrer an einer Mittelschule New Yorks und möchte eigentlich selbstständiger Jazz-Pianist in einer Band werden. Durch Zufall bekommt Joe die Chance seines Lebens mit einer bekannten Band aufzutreten. Voller Glück schreitet er durch New York, fällt aber auf einer Baustelle unglücklicherweise in seinen Tod. Schockiert und unwillig auf der Treppe zum Jenseits seinen Tod zu akzeptieren, springt er von dieser ab und landet im „Davor-seits“ beziehungsweise  im „Du-Seminar“, in dem die neuen Seelen für die Erde kreiert und geformt werden. Um von dort  zu flüchten, wird er Mentor der unwilligen und genervten Seele 22 und schließt mit ihr einen Pakt. Durch ein Missgeschick finden sich beide auf der Erde wieder, 22 im Körper von Joe und Joe in dem einer Katze. 

Konzept und Charaktere absolut ausgetüftelt

Als Erstes muss ich die Aufarbeitung und Durchsetzung des Konzepts loben! In Soul wird der Sinn des Lebens thematisiert, was einen Menschen ausmacht und warum man überhaupt lebt. Der Protagonist Joe ist in seiner Leidenschaft so festgefahren und möchte ihn um jeden Preis ausleben. In Kontrast steht 22, die ihren „Funken“ noch nicht gefunden hat. Diese Thematik ist vielfältig aufgreifbar, aber gerade für Kinder sehr interessant und ansprechend gestaltet: Während sich in diesem Familienfilm die Erwachsenen mit Joe identifizieren, können die Kinder mit 22 mitfühlen. Der Film verknüpft hierbei die Aspekte Leidenschaft, Leben und Sinn. Es wird beispielsweise die Verbindung zwischen Hier- und „Davor“-seits gezeigt: Die „Zone“. In der Zone sind menschliche Seelen abgebildet, die sich im „Flow“ befinden, d.h. in ihrer Arbeit oder Leidenschaft so vertieft sind, dass sie alles um sich herum vergessen. Gleichzeitig wird aber auch gezeigt, dass eine solche Leidenschaft zur krankhaften Obsession werden kann. Der Effekt von Meditation zum Eindringen in die Zone wird auch dargestellt und spielt im Film ebenfalls eine wichtige Rolle.

Die Protagonisten, Joe Gardner und Seele 22, sind unglaublich ansprechende Gemüter. Joe versucht seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und versagt damit. Er möchte so sehr dem Tod entfliehen, weil er für seinen Traum alles tun würde. Gleichzeitig merkt man aber im Laufe des Films, dass er nicht weit davon entfernt ist, als „verlorene“ Seele zu gelten, da seine Obsession sein Mitgefühl und seine Wahrnehmung hemmt. Mithilfe von 22 erkennt er, dass auch viele kleine und einfache Dinge im Leben lebenswert sind. Seele 22 dagegen ist hier der Rebell: Eine Seele, die auf gar keinen Fall auf die Erde möchte, da sie es als nicht erstrebenswert ansieht. Dementsprechend lässt sie sich zu keinem Funken motivieren. Nicht zuletzt sieht man, dass alle ihre unzähligen, berühmten Mentoren versagen: Mutter Theresa, Kopernikus, Mohammed Ali, Marie Antoinette, Abraham Lincoln, Archimedes. Seele 22 hat durch diese Vielzahl an Mentoren nicht nur eine ausgeprägte Intelligenz, sondern ist dabei extrem selbstironisch und sarkastisch. Sie hebt sich durch ihr Verhalten deutlich von den anderen Seelen ab. Während die anderen Seelen wie Kleinkinder klingen, artikuliert sie sich in einer jugendhaften Stimme, die sie mit Freude auch gerne nervig verstellt, um die nächsten Mentoren so schnell es geht abzuwimmeln. Im Laufe der Handlung bemerkt sie jedoch, dass sie die Widersprüche des Lebens und dessen Kleinigkeiten faszinierend findet.

Einige Szenen empfand ich als besonders spannend. Zum einen die Szene, in der Joe in seiner Erinnerung alleine ein Stück Kuchen isst. Am Anfang des Filmes erscheint diese traurig, doch die Erinnerung bewahrheitet sich später als etwas durchaus Schönes. Zum anderen war die Friseur-Szene wichtig: 22 philosophierte im Körper von Joe über Gott und die Welt und erlangte viele Zuhörer und Gesprächspartner. Dabei realisierte Joe, dass er viele Sachen von seinem Barbier nie erfahren hatte, weil er schlichtweg nur über Jazz sprach. 

Schöne Bildumsetzung und Unterhaltung

Neben der schönen Erzählstruktur und den einzigartigen, tollen Momenten muss ich auch die Bildqualität und den Zeichenstil loben. Normalerweise gehe ich bei Animationsgiganten auf solche Punkte nicht ein, da sie oft als Totschlagargument benutzt werden. Jedoch sind mir Einzigartigkeiten auffallen, die erwähnt werden müssen!

 Das Charakter-Design ist sehr schön umgesetzt. Nicht nur ist Joe Gardner ein Afro-Amerikaner, der laut seinem Vater auch einen Teil der Jazz-Kultur repräsentiert, sondern besitzt auch charakteristisch für einen Pianisten lange, knochige Finger. Als Seelenform wird er auch mit einem Hut dargestellt – ganz typisch für den Jazz! 22 ist zwar noch eine nicht-menschliche Seele, jedoch ist sie größer als die anderen Seelen, wahrscheinlich aufgrund ihrer langen Aufenthaltszeit im Du-Seminar. Sie besitzt zudem als alleinstehendes Merkmal Hasenzähne, was ein freches Bild abgibt. Generell haben alle vorkommenden Charaktere ganz einzigartige Gesichtszüge und Körperformen – so ähneln sich nur Joe und seine Mutter. Die Darstellung des Jenseits sowie der Fall ins Du-Seminar werden mit Elementen der 2D-Animation kombiniert. Hier sei aber gewarnt: Die wechselnden Farben sind wahrscheinlich für Epileptiker:innen nicht geeignet. Die Senatoren des Du-Seminars werden zudem als individuelle „One-Line“ Zeichnung gezeigt und bleiben in der Dreidimensionalität flach. Die Zone wird als blau-lila Nordlicht-Spektakel abgebildet, welches sehr beruhigend wirkt und vor allem eine wunderschöne Intensität erzeugt. Nach Joes Auftritt in der Band wird eine leichte Körnung über das Bild gelegt, was seine Erfahrung stumpf aussehen lässt. Die Farben und Lichter spiegeln die Stimmung oft sehr passend wieder. All diese Merkmale wirken so natürlich und fließen ineinander, dass man vieles auf dem ersten Blick gar nicht bemerkt, aber definitiv spürt.  

Beim Unterhaltungsfaktor war ein Aspekt sehr deutlich präsent: Der Humor! Soul ist in vielen Aspekten ein total selbstironischer Film. An vielen Stellen werden gerne menschenbezogene Witze gerissen, die auch mal im Bereich des Schwarzen Humors landen. Beispielsweise sagte 22: „Man kann hier keine Seele zerstören, dafür ist die Erde zuständig.“ Es wird auch eine „verlorene“ Seele geheilt und gesagt „Das ist schon der dritte Aktionär dieser Woche!“. Ich möchte hier aber nicht zu viel vorwegnehmen: Es ist einfach fantastisch!

Kurz vor dem Fazit möchte ich nur eine einzige negative Kritik äußern: Der Film sollte definitiv das Mindestalter von 0 auf 6 FSK anheben. Meiner Auffassung nach wäre ein Grundschüler in der Lage die Thematik aufzugreifen und sie zu verstehen. Aber im Kindergartenalter könnte der Film doch etwas die Kinder erschlagen, auch wenn die Durchführung ein verständliches Konzept aufweist.

Eine absolute Empfehlung!

Kurzgesagt: Wenn dieser Film noch in deiner Liste hängt, dann ist dies hier ein Zeichen ihn endlich zu schauen! Falls du von dem Titel das erste Mal hörst, dann ist es ebenfalls ein Zeichen ihn zu gucken. In diesen 90 Minuten Spielzeit wird ein ganz lustiges Konzept des Lebens dargestellt und dennoch einige Fundamente der Frage „Was ist der Sinn des Lebens“ auf ihre eigene Art und Weise beantwortet. Soul ist ein sehr spannender und unterhaltsamer Film, der nie langweilig wird und selbst für Personen, die keine Animationsfilme mögen, ein echter Hingucker ist.

Autorin: Acelya Aksu