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Play or Nay: Pentiment – Wenn Illustrationen des 16. Jahrhunderts lebendig werden

Wir befinden uns im fiktiven Tassingen (Ecke Oberbayern – Nürnberg ist nicht weit!) und durchleben einen interaktiven Krimi voller Skandale, Intrigen und Mord aus der Sicht von Andreas Maler. Der aufstrebende Meisterkünstler lebt bei einer einfachen Bauernfamilie und arbeitet im Skriptorium der Abtei im Nachbarort Kiersau. 

Bild: Xbox Game Studios
Ähm, ja okay… und was genau ist jetzt Pentiment?

Pentiment ist ein Adventure-Game aus dem Hause der Xbox Game Studios, welches vom Gameplay her einem typischen Point-and-Click-Adventure gleicht. Eine Sache unterscheidet das Spiel jedoch von so vielen anderen: Es ist nicht vertont worden – daher liegt der Fokus vor allem auf den zahlreichen und intelligent illustrierten Dialogen. 

Während man sich nämlich mit den unterschiedlichsten Bewohner:innen von Tassingen und Umgebung unterhält, wird man immer wieder dazu angehalten, wichtige Entscheidungen zu treffen, die einen verheerenden Einfluss auf die Zukunft der Gemeinschaft haben können. Außerdem bestimmen wir zu Beginn über Herkunft, Studienfächer und Interessen unseres Protagonisten. Das kann einem für den weiteren Spielverlauf entweder helfen oder einem sogar Steine in den Weg legen – je nachdem, WANN man sich mit WEM über WAS unterhält. 

Das ist wichtig, denn in Pentiment wird die Geschichte über 25 Jahre hinweg in 3 Akten durchlaufen, und das aufgebaut in einem Tageszyklus. Das bedeutet, dass man immer nur eine bestimmte Zeitspanne hat, in der man den verschiedenen Hinweisen nachgehen kann, um das Rätsel um die Welt von Tassingen zu lösen. Dabei ist es unmöglich, allem nachzugehen und wir können uns nie sicher sein, ob wir gerade auf dem Holzpfad wandeln. 

Aber was unterscheidet Pentiment denn dann von all den anderen Point-and-Click-Adventures da draußen?

Nun, wie schon erwähnt, stützt sich dieses Spiel vor allem auf seine vielzähligen Dialoge. Genau das macht es auch aus, denn sie sind hier äußerst eindrucksvoll und klug illustriert worden. Man kann sich das Spielen von Pentiment so vorstellen, als würde man einen mittelalterlichen Krimi lesen, aber die Zeilen scheinen mit einem zu sprechen, während man gleichzeitig auch noch fähig dazu ist, in die Erzählung einzugreifen.

Ein Einblick in die Welt von Pentiment.
Bild: funklust e.V.
Und für wen genau ist das Spiel dann eine Empfehlung und für wen ist es eher uninteressant? 

Also ich würde den Titel definitiv allen Geschichts-Freaks, oder denen, die es noch werden wollen, wärmstens ans Herz legen. Durch das realitätsgetreue mittelalterliche Setting im Deutschland des 16. Jahrhunderts, einem Zeitalter, in dem Europa am Scheideweg großer religiöser und politischer Veränderungen stand, lernt man schon allein durch das bloße Spielen eine Menge dazu. Man hat sogar das Gefühl, gerade live dabei zu sein und Einfluss darauf zu haben. Außerdem empfehle ich Pentiment all den Krimi- und/oder Rätsel-Fans, die sich gern bei einem entspannten storybasierten Spiel zurücklehnen möchten, um ganz in die Welt mit all ihren vielfältigen Charakteren und einer tollen musikalischen Untermalung einzutauchen. 

Eine absolute Abschreckung könnte hingegen für einige sein, dass man wirklich (wirklich!) viel lesen muss. Egal, wie absolut wundervoll die Schrift auch designt sein mag – es gibt nicht umsonst in den Einstellungen zu Beginn die Auswahl zwischen „illustrierter“ oder „vereinfachter“ Schrift. Schon nach kurzer Zeit können einem eventuell die Augenlider etwas schwer werden und auch die grauen Zellen werden durchgängig beansprucht, da ein ständiges Mitdenken erforderlich ist. Wer sich hierbei also nicht „Juhu – lesen!“ denkt, der wird mit Pentiment wohl eher nicht glücklich werden.

Direkt zu Beginn kann man festlegen, welche Schriftarten ingame verwendet werden sollen.
Bild: funklust e.V.
Alles klar. Und was sagst du so abschließend zu dem Ganzen?

Für mich persönlich war Pentiment durchweg eine riesige Überraschung. Nicht nur ist es meiner Meinung nach ein künstlerisches Meisterwerk und daher unglaublich schön anzuschauen (bzw. zu spielen), sondern auch wirklich spannend gestaltet. Ich war nie ein großer Geschichts-Nerd oder gar eine Krimi-Liebhaberin, aber durch dieses Spiel bin ich es allemal geworden. Es war einfach richtig interessant, die ganzen kleinen Informationen hier und dort spielerisch in Erfahrung zu bringen, und dadurch definitiv tausendmal besser als jedes Schulbuch, das ich je lesen musste. Die Schwierigkeit der Rätsel war dabei stets angenehm und nie zu herausfordernd, und in die unterhaltsam gestalteten Charaktere habe ich mich im Spielverlauf auf jeden Fall verliebt. Viele Dialoge strotzen nur so vor Witz und Sarkasmus – das hat mir besonders gefallen. Zu guter Letzt sei zu erwähnen, dass Pentiment von seinem Wesen her einen extrem hohen Wiederspielwert besitzt. Indem man jederzeit andere Entscheidungen treffen und Gespräche führen könnte, hat man die Möglichkeit, die Geschichte von Andreas Maler und dem Leben in Tassingen immer wieder neu zu schreiben.

Autorin: Maren Wicher