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„Für unser schönes Bayern“ – Das Wahlprogramm der Partei Bündnis 90/Die Grünen

Am 08. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Wie man es von den Grünen erwartet, setzen sie im Wahlkampf auf ihre Kernthemen Klima und Naturschutz. Doch auch mit neuen Themen wie Wirtschaft und Infrastruktur versucht sich die Partei breit aufzustellen. Fraglich ist, ob sich die Partei dadurch als zweitstärkste Fraktion in Bayern halten kann.

Logo: Bündnis 90/Die Grünen

Disclaimer: Unser Blick auf die umfangreichen Wahlprogramme der Parteien ist bewusst studentisch gewählt und behandelt dementsprechend drei Schwerpunktthemen, die wir als relevant für diese Zielgruppe identifiziert haben: Infrastruktur und Klima, Bildung und Wissenschaft sowie Gesellschaft und Demokratie.

Bei der letzten Landtagswahl 2018 erlangte Bündnis 90/Die Grünen in Bayern ein Rekordergebnis von 17,6% der Stimmen. Damit ist die Partei die zweitstärkste Fraktion im Landtag. Bisher war die Partei trotz Wahlerfolgen aber noch nie an der Landesregierung beteiligt. Auch dieses Mal scheint das wieder unwahrscheinlich, da die „bürgerliche Koalition“ aus CSU und Freien Wählern ihre Mehrheit voraussichtlich halten wird.

Wie schon vor fünf Jahren gehen Ludwig Hartmann und Katharina Schulze als Spitzenduo für die größte bayerische Oppositionspartei in den Wahlkampf. Beide sind in ihrem Landesverband aktuell die bekanntesten und beliebtesten Politiker:innen. Zudem führen sie derzeit die Opposition im Landtag an. In dieser Rolle setzen sie sich besonders für Klima- und Umweltschutz sowie Maßnahmen gegen Rechtsextremismus ein. Insofern überrascht die Nominierung nicht. Allerdings kann Schulze selbst nicht Ministerpräsidentin werden, da sie für dieses Amt nicht das Mindestalter von 40 Jahren erfüllt. Es ist jedoch auch unwahrscheinlich, dass die Grünen den Ministerpräsidenten stellen werden. Ohne große Chancen auf Regierungsverantwortung sind die Freiheiten im Wahlprogramm entsprechend groß. 

Infrastruktur und Klima

Beim Klimaschutz setzen die Grünen bekanntlich eher auf staatliche Maßnahmen und Vorgaben. Passend dazu formulieren sie das Ziel, ein verbindliches bayerisches Klimaschutzgesetz mit verpflichtendem CO2-Budget einzuführen. Im Hinblick auf erneuerbare Energien plant die Partei jedoch Erleichterungen bei den staatlichen Vorgaben. Unter anderem soll die 10H-Regelung für Windräder – eine Regelung, die vorschreibt, dass Windräder einen Mindestabstand vom Zehnfachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden haben müssen – abgeschafft und Genehmigungsverfahren für Solar- und Windenergie beschleunigt werden. Auch bei der Verkehrswende wird zunehmend auf Anreize gesetzt, um Bürger:innen zum Wechsel auf klimafreundliche Verkehrsmittel zu bewegen. Dazu gehören ein kostenloses ÖPNV-Ticket für Menschen in Ausbildung unter 28 Jahren und Investitionen in den Ausbau von Rad- und Bahnstrecken. Anders sieht das beim Thema Wohnen aus, bei dem die Grünen vermehrt auf staatliche Regulierung setzen. Hohe Mietpreise in Städten sollen hier durch eine neu justierte Mietpreisbremse vermieden werden. Außerdem setzen sich die Grünen das Ziel, jährlich 10.000 neue Sozialwohnungen in Bayern zu bauen, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken. Dieses Ziel soll hauptsächlich durch Förderungen und Investitionen erreicht werden.

Bildung und Wissenschaft

Studierende gehören traditionell zur Kern-Wählerschaft der Grünen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Partei. Allerdings bleibt das Thema Bildung und Wissenschaft im Wahlprogramm trotzdem relativ kurz und unkonkret. Neben einer stärkeren Finanzierung von Studierenden-Wohnheimen und Hochschulen im Allgemeinen wird zudem für einen Wechsel von einem präsidial geführten zu einem demokratischen Hochschulsystem geworben. Hierzu soll an jeder Hochschule eine gewählte “verfasste Studierendenschaft” eingeführt werden, die über Themen der Studierenden entscheidet. Außerdem werden Änderungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und des Bayerischen Hochschul-Innovation-Gesetzes angestrebt, um wissenschaftlichen Mitarbeitenden eine längere Beschäftigung zu ermöglichen und alle Hochschulen gleichwertig zu behandeln.

Gesellschaft und Demokratie

Bei gesellschaftlichen Themen bleiben die Grünen ihrem Ruf treu, liberale Positionen zu vertreten. Das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre und die Gleichstellung von Frauen, queeren Menschen, Einwander:innen und körperlich Beeinträchtigten sind bekannte Forderungen, die auch dieses Mal wieder im Wahlprogramm stehen. Hinzu kommen Forderungen nach einer vereinfachten Fachkräftezuwanderung und besserer Integration geflüchteter Menschen in den Freistaat. Auch von Rechtsextremismus, Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung grenzt sich die Partei klar ab und möchte mehr Anlaufstellen für Betroffene und Aussteiger:innen schaffen. Insgesamt nehmen gesellschaftliche Themen aber keinen großen Teil des Wahlprogramms ein und enthalten wenig konkrete Vorschläge für Maßnahmen. 

„Bavarian Green Deal“

Unter diesem Titel fasst die Partei diverse Investitionsprogramme zusammen, die eine klimaneutrale Transformation der bayerischen Wirtschaft und Infrastruktur fördern sollen. Das Programm ist an den „Green New Deal“ angelehnt, der 2019 in der EU und den USA debattiert wurde und die Wirtschaft und Gesellschaft auf klimabedingte Herausforderungen vorbereiten soll. In ihrem Investitionsprogramm planen die Grünen je eine Milliarde Euro Investitionen pro Jahr für den Umbau zu einer klimaneutralen Infrastruktur und Industrie. Dazu kommt ein einmaliger Transformations-Fond von 300 Millionen Euro für den Mittelstand. Wie genau das Geld investiert werden soll oder wie die Programme finanziert werden sollen, wird jedoch nicht erklärt.

Gemäßigt progessiv für alle

Wäre das grüne Wahlprogramm ein Roman, wäre das Fazit wohl eindeutig. Viel Exposition, im Kernthema stark, die Nebenschauplätze aber teilweise schwach umrissen. Auf 103 Seiten fassen die Grünen ihre Pläne für den Freistaat zusammen. Immer wieder werden große Passagen eingefügt, die die aktuelle Situation aus Sicht der Grünen schildern und ihre Maßnahmen rechtfertigen. Gewohnt viel Raum nimmt das Thema Klima und Umweltschutz ein, bei dem gut bekannte Maßnahmen vorgeschlagen werden. In anderen Teilen greift die Partei für sie neue Themen wie Wirtschaft und Infrastruktur auf, mit denen sie wohl neue Kompetenzen und Wählerstimmen gewinnen möchte. Besonders in diesen Bereichen bleiben die Maßnahmen allerdings meist oberflächlich und ohne konkrete Pläne. Das gleiche gilt für den sozialpolitischen Bereich. Insgesamt ist das Wahlprogramm nicht so radikal wie bei der Linken, aber ambitionierter als das der SPD. Allerdings teilen die linksgerichteten Parteien viele Forderungen, wie etwa die Senkung des Wahlalters, mehr Sozialwohnungen und kostenlosen ÖPNV für junge Menschen in der Ausbildung. Entgegen ihrem Ruf halten sich die Grünen aber mit Verboten, die besonders CSU, Freie Wähler und AfD häufig anprangern, zurück. Von diesem Ruf versucht sich die Partei scheinbar zu lösen und möchte mit einem eher gemäßigten, aber breiten Programm möglichst viele Wähler:innen überzeugen. Ob sie mit dieser Strategie ihr Rekordergebnis der letzten Wahl halten kann, wird sich zeigen. 

Autor: Finn Tobien