funklust Rezension web

Rezension: 1986zig – Ich schwör bei Gott

Auf wie viele Wege lässt sich eine schwarze Sturmhaube bei Musiker:innen interpretieren? Bei dem Künstler 1986zig heißt die einzig richtige Antwort: „Ja!“

Bild: Timmy Hargesheimer

Es ist nicht viel über 1986zig bekannt. Man weiß nicht, wie er mit echtem Namen heißt, woher er kommt oder wie er aussieht. Am leichtesten beschreibt man ihn als Singer-Songwriter mit schwarzer Sturmhaube und schwerer Vergangenheit. Ein Musiker, der nach Straßenrap aussieht, aber mit gefühlvollen Texten und Liedern einen weichen Kern beweist. Ein Künstler, der das Leben neu zu schätzen gelernt und kennengelernt hat. Davon handelte auch sein Debütalbum „Zweite Chance“, das im November 2022 veröffentlicht wurde. Hier rechnete er mit seiner drogenreichen und kriminellen Vergangenheit ab, die er größtenteils im Heim und unter Arrest verbracht hatte. Diese Zeit hat ihn als Menschen sehr geprägt, wie er in seinen Texten offenbart. Die Sturmmaske soll ihn dabei stets erinnern, unter welchen Umständen er erwachsen geworden ist. Im titelgebendem Song „Zweite Chance“ singt er:

Und deshalb trag‘ ich die Maske

Ein kleiner Reminder

Dass ich so lang allein war

Zwei kleine Fenster zum Licht

Dass ich nicht vergess‘, wie es ist

1986zig – Zweite Chance

Eine sehr einprägende Beschreibung, eingesperrt in einem dunklen Raum, nur zwei kleine Fenster zum Licht, wofür wohl die zwei Aussparungen an den Augen stehen sollen. Ich finde, die Maske lässt sich auch auf viele schöne Wege deuten. Mit seiner neuen EP „Ich schwör bei Gott“, die vier Lieder enthält, zeigt er vor allem, dass er viele Gesichter hat, dass er seine Gefühle auf mehrere Wege zeigen kann und dass er auch seinen eigenen Style auf bekannte Melodien stempeln kann. Er ist nicht ohne Grund durch Cover-Songs bekannt geworden, die er auf TikTok und Instagram veröffentlicht hatte. 

Seine Maske bedeutet nicht, dass er gesichtslos ist, sondern vielmehr, dass er viele Gesichter annehmen kann. Das äußert sich nicht nur darin, dass er in vier Songs mehrere verschiedene Gefühle behandelt, sondern auch darin, dass er zwei Samples ein neues Gesicht gibt. Er macht sich die Magie des Samplings zu eigen, was nicht zu unterschätzen ist. Das Verwenden von Samples ist oft ein schmaler Grat zwischen „Fällt denen nichts eigenes ein?“ und „Hä geil, das kenn ich doch“. Er hat dabei die Songs nicht einfach nachgesungen, sondern hat es geschafft, diese Songs zu seinen eigenen zu machen – stets unterstützt durch seine einerseits klare, andererseits rauchig-kratzige Stimme, die nicht ohne Grund mit Herbert Grönemeyer und Nicholas Müller von Jupiter Jones verglichen wird. Es ist eine Kunst für sich, einer bekannten Melodie einen teils neuen Text und ein neues Feeling zu verschaffen, ohne dass das Image der Melodie darunter leiden muss. 

Ich möchte mit Absicht nicht verraten, bei welchen Liedern welche Songs gesampelt wurden, da es für mich auch immer ein kleiner Spaß ist, genau das zu erraten. Außerdem geht man dann nicht voreingenommen an einen Song heran und erwartet einen gewissen Vibe. Auch das gehört zur Kunst des Samplings. Künstler:innen können Samples oder bekannte Melodien kreativ nutzen, um etwas Neues und Einzigartiges zu schaffen. Indem sie bekannte Elemente in einem neuen Kontext verwenden oder mit ihnen experimentieren, können sie etwas erschaffen, das sowohl vertraut als auch innovativ klingt, was wiederum das Interesse der Hörenden weckt. 

Wer in die Lieder von „Ich schwör bei Gott“ hineinhört, den erwarten Facetten von clubbig-tanzbarer Stimmung bis hin zu hoffnungsvollen und sentimentalen Vibes, und natürlich zwei genial ausgewählte Samples. Mit 1986zig hat die Welt der deutschen Musik einen einzigartigen Star dazugewonnen, der auch schon das Interesse von großen Namen wie Kontra K oder PA Sports auf sich gezogen hat. Ein noch relativ kleiner Stern am Himmel der deutschen Rap- und Pop-Welt, von dem man aber Großes erwarten kann. 

Autor: Yannick Stüwe