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“Zeit für Deutschland.” – Das Wahlprogramm der AfD

Am 23. Februar wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Erstmals tritt auch die Alternative für Deutschland mit einer Kanzlerkandidatin an: Mit Alice Weidel an der Spitze liegt die AfD kurz vor der Wahl in Umfragen bei rund 20% und damit hinter der Union auf Platz 2. Eine Regierungskoalition mit der AfD schließen die anderen Parteien zwar kategorisch aus. Dennoch zeigte die Abstimmung zum sogenannten “5-Punkte-Plan” der Union, dass die AfD auch in Zukunft darauf hoffen kann, für parlamentarische Mehrheiten entscheidend zu sein. Ein Blick ins Wahlprogramm verrät, welche Positionen die AfD dabei vertreten wird.

Logo: Alternative für Deutschland (AfD)

Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl steuert die AfD auf eine Verdopplung ihres Wahlergebnisses zu. Inhaltlich haben sich die Forderungen der AfD seitdem kaum verändert, viele Abschnitte des Wahlprogramms finden sich nahezu identisch im Wahlprogramm zur Wahl 2021. Wurde das Programm damals noch im Kontext der Corona-Pandemie mit dem drastischen Vorwurf der “autoritären und teilweise totalitären” Politik der Großen Koalition eingeleitet, steigt das aktuelle Wahlprogramm vergleichsweise moderat ein – denn diesmal bietet die Wirtschaftskrise den geeigneten Aufhänger, um die potenzielle Wählerschaft mit den eigenen Forderungen anzusprechen.

Wirtschaft, Finanzen & Energie

Der Wirtschaft bilanziert die AfD einen “Niedergang”, verursacht durch einen von politischen Vorgaben und Verboten gestörten marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Hohe Unternehmenssteuern, unzureichende Schulbildung, “strangulierende” Bürokratie, knapper Wohnraum und mangelnde Sicherheit im öffentlichen Raum seien Gründe, die Deutschland als Wirtschaftsstandort unattraktiv machen.

Dass sich das erste Kapitel des Wahlprogramms dem wichtigen Wahlkampfthema ‘Wirtschaft’ über den Begriff der “sozialen Marktwirtschaft” nähert, unterstreicht auch den Versuch der Annäherung an die bürgerliche Wählerschaft. Die AfD will starke und eigenverantwortliche Bürger, die im Leistungswettbewerb privates Vermögen, Eigentum und eine auskömmliche Rente erlangen können.

Mit einer Erhöhung der Grundfreibeträge bei der Einkommensteuer will die AfD den Niedriglohnsektor und den Mittelstand entlasten und außerdem die (ausgesetzte) Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer sowie den Solidaritätszuschlag abschaffen. Berechnungen des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zeigen allerdings, dass die Vorschläge der AfD mittlere und insbesondere höhere Einkommen prozentual deutlich stärker entlasten würden als niedrige Einkommen. Für Unternehmen plant die AfD ebenfalls Steuersenkungen; belastende Regelungen wie Umweltauflagen oder das Lieferkettengesetz sollen abgeschafft werden.

Ökonom:innen schätzen, dass die Umsetzung dieser Entlastungen den Staatshaushalt um etwa 150 Milliarden Euro pro Jahr belasten würde. Die Frage der Gegenfinanzierung wird von der Partei nicht anhand konkreter und fundierter Zahlen oder Konzepte beantwortet (und innerhalb des Programms auch nicht wirklich aufgeworfen). Anders als Union und FDP setzt die AfD in ihrem Programm nicht ausdrücklich auf Wirtschaftswachstum zur Gegenfinanzierung, sondern vielmehr auf Einsparungen bei Sozialausgaben wie dem Bürgergeld und durch eine restriktive Migrationspolitik. Die Schuldenbremse soll eingehalten werden. Auch die Rückkehr zu einer nationalen Währung, die mit der Umwandlung der EU in einen “Bund europäischer Nationen” einhergeht, soll die deutschen Finanzen stärken.

Als größten Faktor für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft sieht die AfD die Verfügbarkeit bezahlbarer Energie – und positioniert sich dabei fundamental gegen die Energiewende sowie erneuerbare Energien (EE). Die AfD argumentiert, erneuerbare Energien seien im Vergleich zu fossilen Energien ohne staatliche Förderung wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Investitionen in Erneuerbare seien daher verschwendet und würden den Strompreis für Industrie und Verbraucher:innen in die Höhe treiben. Kanzlerkandidatin Weidel hielt kürzlich sogar noch an dieser These fest, als ihr die Rentabilität der Windkraft in der ZDF-Sendung “Klartext” vom Betreiber eines Windparks vorgerechnet wurde. Neben dem finanziellen Aspekt verweist die AfD auf die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch bei der Herstellung von EE-Anlagen oder Batteriespeichern. Sie fordert, Anlagen “angeblich erneuerbarer Energien” müssten ihre Umweltverträglichkeit und ihren ökonomischen Nutzen ohne Subventionen nachweisen.

Klima- und Umweltschutz

Bemerkenswert ist die Ablehnung erneuerbarer Energien (und insbesondere der Windkraft) vor allem auch deshalb, weil die AfD ihren Nutzen weitestgehend losgelöst vom Kontext der Bekämpfung der globalen Erderwärmung beurteilt. Die AfD leugnet den wesentlichen Einfluss des Menschen auf den Klimawandel – und bezweifelt alle damit einhergehenden Risiken für die Umwelt, die Gesundheit, die Sicherheit, den Wohlstand und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Sie stützt sich hierbei auf das Narrativ, dass der menschengemachte Klimawandel wissenschaftlich umstritten sei und wiederholt bekannte – und widerlegte – Thesen aus der Szene der Klimawandelleugner. Da die AfD keine Grundlage sieht, die Notwendigkeit von Klimaschutz anzuerkennen, enthält ihr Wahlprogramm dementsprechend auch keine Konzepte dafür.

Soziale Gerechtigkeit

Eher am Rande greift die AfD in ihrem Wahlprogramm einige soziale Themen und Streitpunkte auf, setzt diese jedoch meistens in einen Kontext, wonach die soziale Sicherheit und Zukunft durch den Missbrauch staatlicher Macht, durch “linksgrüne Ideologie” und durch Migration bedroht wird. Beim Thema Wohnen hält sich das Wahlprogramm kurz. Der soziale Wohnungsbau ist laut AfD gescheitert und wird auch nicht weiter thematisiert. Stattdessen sollen einkommensschwache Mieter durch mehr Wohngeld unterstützt und Nebenkosten gesenkt werden. Mietpreisbremsen oder Mietendeckel lehnt die AfD jedoch als “Investitionshemmnisse” ab. Großen Wert legt die AfD außerdem auf Wohneigentum: Jeder Bürger solle sich eine Wohnung oder ein Haus leisten können. Das Programm lässt hier insgesamt große Lücken in der Argumentation erkennen: Beim Wohnungsbau, der den hohen Mieten durch ein wachsendes Angebot von Wohnraum entgegenwirken soll, bleibt unklar, wer bauen soll und aufgrund welcher Anreize – abgesehen von der Abschaffung “ausufernder gesetzlicher Vorgaben”. Und auch die Erhöhung des Wohngelds und die Senkung der Nebenkosten müssten gegenfinanziert werden, worauf das Wahlprogramm an dieser Stelle jedoch nicht eingeht.

Das Thema Armut wird im Wahlprogramm hauptsächlich im Kontext von Altersarmut und dem Rentensystem aufgegriffen. Grundsätzlich setzt die AfD auf Arbeit, das Leistungsprinzip und die Beschränkung der Migration. Nur “wirklich Bedürftige” sollen in den Grundsicherungssystemen aufgefangen werden. Statt des Bürgergeldes will die AfD eine “Aktivierende Grundsicherung” einführen, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Ein Problem des Bürgergeldes sei auch, dass sich eine Erwerbstätigkeit nicht mehr lohne. Diese Annahme gilt als umstritten. Für Asylberechtigte und Schutzsuchende will die AfD Sozialleistungen wie das Bürgergeld weitestgehend streichen.

In der Familienpolitik der AfD spiegelt sich das Festhalten an traditionellen Strukturen: Für die AfD besteht eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern. Queere Lebens- und Familienmodelle finden im Wahlprogramm keine Erwähnung. Frauenquoten, geschlechtergerechte Sprache und die Differenzierung zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität lehnt die AfD kategorisch ab. Aus Kindergärten und Schulen will die AfD solche vermeintlich “ideologischen” Themen (ebenso wie den Klimawandel) verbannen – sie seien von “Angst und Hysterie” freizuhalten.

Asyl & Migration

In der Asyl- und Migrationspolitik fordert die AfD seit langem Maßnahmen wie dauerhafte Grenzkontrollen, konsequente Abschiebungen von Ausreisepflichtigen und einen pauschalen Einreisestopp für Asylsuchende. Die Union unter Friedrich Merz stellte Ende Januar in einem Entschließungsantrag genau dies zur Abstimmung, welcher mit den Stimmen von Union, FDP und AfD eine knappe Mehrheit fand. Alice Weidel kommentierte den “5-Punkte-Plan” mit der Aussage, die Union habe von der AfD “abgeschrieben”. Im Wahlprogramm fordert die AfD, die gemeinsame Asylpolitik der EU zu beenden, den UN-Migrations- und den UN-Flüchtlingspakt aufzukündigen sowie die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention zu reformieren. Ziel ist die Abschaffung des individuellen Asylrechts und die Umkehrung des “migrationspolitischen Staatsversagens”. Neu ist, dass die AfD ihre Forderungen auch im Wahlprogramm unter dem Begriff “Remigration” zusammenfasst. Der Begriff erhielt im Zuge der Correctiv-Recherche zum sogenannten Potsdamer Treffen im November 2023 öffentliche Aufmerksamkeit. Dort diskutierten Rechtsextremisten der sogenannten Neuen Rechten und aus der AfD unter dem Konzept der “Remigration” die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund – auch jener mit deutscher Staatsbürgerschaft. Im Wahlprogramm wird der Begriff nun zu einem Maßnahmenkatalog umgedeutet, der sich zunächst auf ausreisepflichtige Personen, Straftäter oder Gefährder sowie auch Menschen aus Syrien bezieht, für die laut AfD der Fluchtgrund mittlerweile entfallen sei.

Die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, die der deutschen Wirtschaft helfen können, wird zwar begrüßt – wenn sie denn überhaupt nötig sei und nicht durch bessere Rahmenbedingungen für die “deutsche Arbeiterschaft” ersetzt werden könne. Sofern es sich aber um Migration “aus fremden Zivilisationen” handele, löse diese kein wirtschaftliches Problem, sondern schaffe nur zusätzliche Probleme.

Außenpolitik & Innere Sicherheit

Die AfD fordert eine Außenpolitik, die sich vorrangig an den nationalen Interessen Deutschlands orientiert. Der Einbindung in supranationale Strukturen wie die EU, die NATO oder die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) steht die AfD skeptisch gegenüber und möchte diese auf lange Sicht durch ein “Europa der Vaterländer” mit strategischer Autonomie ablösen. Sie setzt sich außerdem für die Stärkung der Bundeswehr und die Wiedereinführung des Wehrdienstes für deutsche Staatsbürger ein.

In den USA unter der Trump-Administration sieht die AfD einen ideologischen Verbündeten im Kampf gegen “Klimaideologie” und “Wokeness”. In den geopolitischen und ökonomischen Interessen unterscheide man sich jedoch zunehmend. Dazu zählt für die AfD auch, dass die USA die Energieversorgung durch russisches Gas über die Nord Stream-Gasleitungen verhindern will. Die AfD hingegen sieht Russland als zuverlässigen Garanten für die Energieversorgung und will die Handelsbeziehungen zu Russland wieder aufnehmen und ausbauen. Über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht das Wahlprogramm mit einem Satz hinweg: Der Krieg habe die europäische Friedensordnung aus den Angeln gehoben, die Zukunft der Ukraine sieht die AfD außerhalb von NATO und EU.

In Bezug auf Innere Sicherheit fokussiert sich die Aufmerksamkeit der AfD auf Linksextremismus und islamistischen Extremismus. Linksextremismus durch beispielsweise die Antifa oder “Klimaextremisten” verbreite “blanke Gewalt, Angst und Terror” und werde vom Staat vernachlässigt. Die größte Gefahr stelle allerdings der politische Islam dar. Dazu schlägt die AfD im Wahlprogramm eine Reihe von Maßnahmen vor, um der Ausbreitung des Islam entgegenzutreten.

Demokratie

Rechtsextremismus wird in diesem Zusammenhang von der AfD ebenfalls einmal erwähnt – und wird dann im Gegensatz zu den vorher genannten Formen des Extremismus nicht weiter thematisiert. Insbesondere findet auch in diesem Wahlprogramm (genauso wie in früheren) keine Auseinandersetzung mit der eigenen Nähe zu rechtsextremistischen Strukturen, Personen und Inhalten statt. Dabei steigt die Zahl rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten seit Jahren an. Im Hinblick auf die Häufigkeit und das Gefahrenpotenzial überwiegt politisch motivierte Kriminalität von rechts deutlich, sowohl im Vergleich zu linksextremistischer als auch religiös motiverter Kriminalität.

Die Alternative für Deutschland wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2021 als sogenannter rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, die Rechtmäßigkeit dieser Einstufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht Münster 2022 bestätigt. Die Landesverbände der AfD in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden als gesichert rechtsextrem eingestuft, mindestens fünf weitere Landesverbände werden als Verdachtsfall von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Die bisherige Jugendorganisation Junge Alternative (JA) wird ebenfalls als gesichert rechtsextrem eingestuft. Als Begründung für diese Einstufung zieht der Verfassungsschutz mehrere Kriterien heran, die u. a. im Verfassungsschutzgutachten von 2021 nachzulesen sind. Dazu gehören nachweisliche Verbindungen zu rechtsextremen Strukturen, das Tätigen oder Dulden verfassungsfeindlicher Äußerungen durch ihre Mitglieder sowie Inhalte der Partei, die sich in Teilen gegen demokratische Grundprinzipien richten. Seine aktuelle Einschätzung der AfD hält der Verfassungsschutz im Vorfeld der Bundestagswahl zurück, um den Wahlkampf nicht zu beeinflussen. Auch die Prüfung eines Parteiverbots durch das Bundesverfassungsgericht wurde in der ablaufenden Legislaturperiode diskutiert, fand jedoch vor der Wahl keine politische Mehrheit.

Für die AfD ist das auch 2025 kein Grund, das eigene Verhältnis zu demokratischen Werten und Prinzipien kritisch zu hinterfragen. Vielmehr sieht sich die AfD als Verteidiger der Demokratie und des deutschen Volkes. Sie zeichnet mit ihrem Wahlprogramm das Bild einer korrupten, manipulativen und gegen die Demokratie gerichteten politischen Elite, die die Bürger- und Freiheitsrechte systematisch einzuschränken versuche. Für eine Politik im Sinne des Volkes will die AfD das Parlamentsrecht reformieren und darüber hinaus Volksabstimmungen zu einem zentralen Gegenstand jeder Koalitionsverhandlungen machen. “Meinungsmache bis hin zur Manipulation” durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder NGOs wie z.B. “Faktenchecker” will die AfD beenden, der ÖRR soll durch einen “Grundfunk” ersetzt werden.

Fazit

Die AfD formuliert forsch ihren Regierungsanspruch – sowohl durch die Aufstellung einer Kanzlerkandidatin als auch in Form ihres Wahlprogramms. Mit rund 20% der Stimmen, aber ohne Aussicht auf Koalitionspartner, wird die AfD aller Voraussicht nach nicht regieren. Doch die Entwicklungen der letzten Jahre tragen auch Früchte im Sinne der AfD. Die 2025 heftig diskutierten Maßnahmen für eine restriktive Migrationspolitik wurden von der AfD schon lange gefordert, in dieser Form jedoch von der Union noch vor wenigen Jahren strikt ausgeschlossen. Nun scheint das inhaltliche und strategische Vorgehen der Union rund um den “5-Punkte-Plan” die Kluft zwischen den Parteien der demokratischen Mitte vergrößert zu haben. Auf der anderen Seite haben damit nicht nur der migrationspolitische Kurs, sondern auch der parlamentarische Einfluss der AfD eine langersehnte Legitimation erfahren. Das Wahlprogramm der AfD verdeutlicht sowohl ausdrücklich als auch zwischen den Zeilen, dass sich die Partei keinesfalls an Positionen der demokratischen Mitte angenähert hat. Stattdessen ist im Vorfeld dieser Wahl sichtbarer und vorstellbarer geworden, dass sie das gar nicht tun muss, um in Zukunft über die Politik dieses Landes mitzuentscheiden.

Autor: Janno Reincke