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Schöne neue Welt?! Captain America: Brave New World

„Captain America – Brave New World“ zeigt Sam Wilson als neuen Captain America, der
nach den Ereignissen von „The Falcon and the Winter Soldier“ gegen neue Bedrohungen
kämpft und das Erbe von Steve Rogers weiterführt.

Bild: Marvel Studios, LLC

Im Jahr 2008 begann mit „Iron Man“ die große Marvel-Hysterie, die den Grundstein für das heutige Filmuniversum legte. Im selben Jahr folgte „Der Unglaubliche Hulk“, der zwar gemischte Kritiken erhielt, jedoch an den Kinokassen 263 Millionen US-Dollar einspielte – fast das Doppelte seines Budgets. Dieser Erfolg wurde im Laufe der Jahre allerdings von den Rekordzahlen späterer Marvel-Filme in den Schatten gestellt. Umso überraschender ist es, dass Marvel in „Captain America: Brave New World“ nun eine Fortsetzung der Hulk-Geschichte zu etablieren scheint. Doch stellt sich die Frage: Geht es hier noch um Captain America oder rückt eher die Beziehung zwischen Thaddeus Ross und seiner Tochter Betty in den Fokus? Ross ist ein Militärgeneral, der als Gegenspieler von Bruce Banner auftritt. Seine Tochter Betty hingegen spielt eine zentrale Rolle in Banners Lebens als seine Liebe und Vertraute. Diese unterschiedlichen Ansichten führen zu Konflikten zwischen Vater und Tochter. Diese Richtung ist fragwürdig, da der Ursprung dieser Geschichte in „Der Unglaubliche Hulk“ kaum eine Grundlage dafür bietet. Regisseur Louis Leterrier entschied damals, tiefere emotionale Aspekte zugunsten eines schnellen, actiongeladenen Films zu opfern – eine Entscheidung, die sich nicht nur in der eingeschränkten Charakterentwicklung, sondern auch im verschwendeten Potenzial von Edward Norton als Hulk widerspiegelte.

Über die Frage zu debattieren, ob Edward Norton der bessere Bruce Banner war – diese Fan-Diskussion ist längst Schnee von gestern. Doch dieser kleine Rückblick auf das Jahr 2008 zeigt ein grundlegendes Problem im 35. MCU-Film. Die Frage, wie das Erbe von Steve Rogers in einer politisch aufgeladenen Welt weitergeführt wird, in der Themen wie Rassismus nach wie vor eine zentrale Rolle spielen, bietet enormes Potenzial für tiefgründige Auseinandersetzungen. Besonders, da Sam Wilson, der neue Captain America, selbst als Afroamerikaner mit den Herausforderungen des Rassismus konfrontiert ist, könnte seine Geschichte als Captain America wichtige gesellschaftliche Themen wie Gleichberechtigung, Vorurteile und den Kampf gegen Ungerechtigkeit ansprechen. Obwohl die Grundlage für eine Fortsetzung in der Beziehung zwischen Ross und seiner Tochter Betty nicht wirklich gegeben ist, wäre auch dieser Handlungsstrang vielversprechend gewesen. Vor allem durch die schauspielerische Leistung von Harrison Ford, der mit seiner Erfahrung und Präsenz einen starken emotionalen Kern liefern könnte.

Interessant ist, dass Regisseur Julius Onah mit „Captain America: Brave New World“ zwar die politische Dimension seines Films anspricht, sie jedoch nicht weiter vertieft. Insbesondere die Figur des Thaddeus Ross lässt sich mit Personen wie Donald Trump vergleichen: Beide teilen ein enormes Ego, das Bedürfnis, ihre eigenen Ziele durchzusetzen, und reagieren auf Widerstand mit kindlichem Wutausbruch. Ross‘ Glaube an den westlichen Imperialismus und seine zunehmende Wut werden sogar körperlich spürbar – er wird rot vor Zorn und verwandelt sich in den Hulk, ein wütendes, rotes Monster. Diese Metapher ist faszinierend, doch der Film scheitert daran, sie weiter auszuführen und auf eine tiefere politische Ebene zu heben. Zwanghaft wird versucht, Handlungsstränge und Charaktere aus früheren Filmen und Serien miteinander zu verbinden. Der Film wirkt wie eine lange Serienepisode, die aus der Content-Maschinerie Disney Plus stammt. Das Ergebnis erscheint daher eher wie ein Fanprojekt von Entwickler:innen einer Marvel-Fandom-Seite. Das ist ein Armutszeugnis für den modernen Blockbuster.

Die heutigen Blockbuster stehen stellvertretend für eine Entwicklung, bei der das Kino zunehmend von riesigen Franchise-Werken dominiert wird. Der Fokus liegt weniger auf der Schaffung eigenständiger, kreativer und visuell anspruchsvoller Werke, sondern vielmehr auf dem Verknüpfen von Geschichten und dem Ausbau eines immer weiter wachsenden Universums. Diese „schöne neue Welt“ des Kinos lässt immer weniger Raum für Innovation und künstlerische Freiheit. Stattdessen wird der schnelle Konsum von Inhalten forciert. Julius Onah, ein noch relativ junger Regisseur, hat sich mit „Captain America: Brave New World“ einem großen Franchise angeschlossen. Dieser Schritt bedeutet jedoch auch, die eigene, einzigartige Vision für die Strukturen eines stark reglementierten Systems aufzugeben. Diese Dynamik ist in Hollywood nicht neu. Neu ist aber eine Ära, in der wir uns längst befinden – gleichzusetzen mit dem Beginn der 3D-Massennutzung, den endlosen Sequels und den Musik-Biopics. Und man kann diese Ära klar benennen: das Zeitalter der Reshoots. Auch „Captain America: Brave New World“ bleibt von dieser Entwicklung nicht verschont. Es ist bekannt, dass nach den Dreharbeiten das Ende und das Opening des Films geändert wurden, und sogar ein neuer Antagonist hinzugefügt wurde – und das alles soll dann irgendwie zusammenpassen? Häufig sind es nicht die Produzent:innen, die den Großteil der Kritik abbekommen, sondern am Ende sind es vor allem die Regisseur:innen. Dabei sind sie oft nicht einmal für diese filmischen Entscheidungen verantwortlich – da könnte man rot anlaufen vor Wut.

Marvel nutzt außerdem KI-Tools, um das Rendern komplexer Effekte effizienter zu gestalten. Diese Technologien beschleunigen den gesamten Prozess, ohne dass die Qualität leidet. So können sich die VFX-Teams stärker auf die Verfeinerung wichtiger Details wie die Charakterbewegungen, Beleuchtung und Interaktionen zwischen den digitalen und praktischen Elementen konzentrieren. Durch den Einsatz von KI wird nicht nur die Produktionszeit verkürzt, sondern auch die visuelle Präzision erhöht, was zu noch realistischeren und dynamischeren Effekten führt, die die Zuschauenden in die Welt des Films eintauchen lassen. Das hilft jedoch nicht besonders, da der zunehmende Fokus auf digitale Optimierung einen kreativen Rückschritt bedeutet. Die handwerkliche Raffinesse und die faszinierenden Effekte, die in den 2000ern mit Figuren wie Davy Jones oder den „Transformers“ zum Leben erweckt wurden, scheinen in der heutigen CGI-Übersättigung verloren gegangen zu sein. Der Red Hulk in „Captain America: Brave New World“ wirkt leider wie ein großer CGI-Unfall.

Das soll die „schöne neue Welt“ des Kinos sein? Ein weiterer Teil des Universums von riesigen Franchise-Werken, bei denen der Fokus immer stärker auf Worldbuilding liegt statt auf eigenständigen, visuellen Meisterwerken? Filme, die unvollständig wirken, aber im Kino trotzdem von den größten Marvel-Fans mit donnerndem Applaus bejubelt werden? Wollen wir schlechtere Effekte hinnehmen? Wollen wir wirklich, dass KI schrittweise als Ergänzung verwendet wird, nur um sich schließlich die Arbeit der wahren Künstler:innen anzueignen? Denn es sind doch diese einzigartigen Talente, die keine Programme oder Roboter brauchen, um ihre Kunst zum Leben zu erwecken. Wie positionieren wir uns gegenüber dieser „schönen neuen Welt“, die alles andere als schön ist? Diese Kritik endet mit einer Frage an euch: Seid ihr für die Kunst oder unterstützt ihr die Kommerzialisierung?

Autor: Pascal Dietrich

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