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Internationales Figurentheaterfestival 2025: „Nuggets“

Bauschaum, Äste, Gummireifen und Plastikröhren – in Maxim Storms‘ Solo „Nuggets“ bastelt sich ein letzter Mensch auf einer desolaten Erde zwanghaft einen Lebenszweck zusammen.

Bild: Illias Teirlinck

Vom 23. Mai bis 1. Juni fand in Erlangen, Fürth, Nürnberg und Schwabach das 24. internationale figuren.theater.festival statt. Es ist eines der größten Figurentheaterfestivals in Europa und zeigt 60 Compagnien aus 21 verschiedenen Ländern. Zwar deckte der Begriff „Figurentheater“ ursprünglich hauptsächlich das Puppenspiel ab, heute jedoch bietet das Progamm eine breite Auswahl an zeitgenössischem Figuren-, Bilder- und Objekttheater an. Einige Aufführungen fanden im öffentlichen Raum statt. In Erlangen wurden unter anderem das Experimentiertheater, das Markgrafentheater, das Theater in der Garage und der Redoutensaal am schauspiel erlangen bespielt.

Letzterer wird an diesem Abend von „Nuggets“ eingenommen. Die Bühnenfläche ist von einer weißen Plane bedeckt, die von oben heruntergelassen worden ist. Auf ihr tummeln sich Seile, Plastikröhren, Metallgitter und ein Müllhaufen – kurzum gesagt: Schrott. Doch der hibbelige Maxim Storms verfolgt scheinbar ein großes Ziel. Mit viel Enthusiasmus versucht er, sich ein unbestimmtes Etwas zu bauen. Dabei misst er jedem Teil einen immensen Wert zu – nur, um es dann wegzuschmeißen, weil sein Bauplan doch nicht aufgegangen ist oder weil sich das Objekt vehement gegen eine Zweckeinbindung wehrt. Mit diesem clownesken Slapstick-Spiel schafft er es, das Publikum ununterbrochen zum Lachen zu bringen.

Dabei ist das, was auf der Bühne passiert, eigentlich gar nicht lustig. Absurd trifft es eher, wie Maxim Storms mit einem bauschaumbedeckten Ast vor seiner langen Nase herumwedelt und dabei die großartige Qualität des Dingsbums zu betonen versucht. Außerdem liegt der Figur eine tief verankerte Einsamkeit zugrunde – doch versucht sie, diese mit ihrer weißen Schminkmaske und ihren motivierten Bewegungen zu überspielen. Währenddessen wiederholt sie dauernd bestimmte Satzfetzen wie: „Okay!“, „Oh my!“, „Look at this!“, „This is something“, „Responsibility“. Scheitern ist ihre Grundvoraussetzung, trotzdem wühlt sie in dem Müllhaufen unbeirrt nach einem Erfolg. Dieser Erfolg ist kaum definiert, doch immer wieder redet Maxim Storms zu einer unsichtbaren Entität namens „The Production“ hinter den Kulissen, ohne eine Antwort zurückzuerhalten. Er scheint ihr gerecht werden zu wollen, fühlt sich von ihr beobachtet und hat Angst, von ihr bestraft zu werden. Stur beharrt er auf ein vorzeigbares Ergebnis, auf Qualität und auf seine eigenen Fähigkeiten, ohne sich je beweisen zu können. Kritisch wird seine Figur in ihrer Paradoxität und ihrem Zwang nach Selbstbehauptung zerlegt, sodass sie auch leicht als Satire einer selbstzweifelnden Macher-Ideologie gesehen werden kann. Schließlich erdrückt sie die Forderung nach Leistung so sehr, dass sie in dem Müllhaufen zeternd und keuchend untergeht. Nebel steigt von den Seiten auf, rotes und blaues Licht nimmt die Plane ein und die Figur steigt wie besessen mit einer neuen Maske auf dem Gesicht hervor. Ihr Körper wird von den Impulsen der rhythmischen und befremdlichen Musik vereinnahmt, ihre Maske vom Nebel verdeckt. Nur die rot leuchtende Nase sticht heraus, als ob sie ein einzelnes Auge darstellen würde. Auch die Stimme wird mit robotischen Tönen unterlegt. Die gesamte Figur verwandelt sich in eine andere, sie verliert ihren humorvollen Charme und hat etwas extrem Militärisches, Mechanisches, Bedrückendes an sich.

Dann verstummt die Musik und der Nebel lichtet sich. Maxim Storms Körper wurde bis aufs Äußerste gefordert: Schweißgebadet liegt er am Boden, die Maske reißt er keuchend vom Gesicht. Zwar wieder der Alte, doch ist ihm etwas von seinem Witz nachhaltig verloren gegangen. Trübe hinterfragt er sein Schicksal und seinen Zweck in einer verlassenen Welt. Er schüttet sein Herz einer unsichtbaren Person neben ihm aus, dann richtet er sich ein improvisiertes Bett ein und schläft. Ein Lichtkegel simuliert das Vorübergehen eines Tages.

Im Nachhinein ist mir nicht völlig klar, wo das Ganze stattgefunden hat. Auf einem Schrottplatz? Einem desolaten Planeten Erde? Befinden wir uns überhaupt auf der Erde? Ist er überhaupt ein Mensch? Spielt sich alles in seinem Kopf ab oder sind wir die, die die unsichtbaren Personen nicht sehen können? Wird er von einer externen Macht gefangen gehalten, bis er eine gewisse Quota absolviert hat? Befindet er sich in einer Zeitschleife? Viele Fragen bleiben offen, doch eines ist auf jeden Fall klar: Maxim Storms ist ein großartiger Abend gelungen. Sein Spiel erweckt sowohl Spaß und Humor als auch empathisches, tief empfundenes Mitleid. Und ob er nun für die Zwecke einer übernatürlichen Autorität gefangen gehalten wird, sich auf den apokalyptischen Überresten unserer wohlbekannten Erde zurechtzufinden versucht oder das dekonstruierte Sinnbild einer vermeintlichen Macher-Figur darstellt, oder alles zusammen und vieles mehr, spielt im Grunde keine Rolle. Denn diese Aufführung regt spannende Fantasien und Theorien an und wird mir deshalb noch lange im Gedächtnis bleiben.

Autor: Mark Schulze

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