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Die Share Economy am Scheideweg

Airbnb, Uber und Co. machen die Share Economy zu einem neuen Wirtschaftszweig, bei dem es um Konkurrenzdruck und Gewinne geht. Dabei fing das Teilen ganz klein an. Erst mit der Nutzung von Onlineangeboten entstanden Netzwerke, die mittlerweile global arbeiten. Das sorgt für zwei unterschiedliche Strömungen innerhalb des Marktmodells.

Version 2Mit Regenjacke und -hose kniet Anna Meissner im Hinterhof eines Gemüseladens. Es regnet in Strömen. Die blonden Haare, die unter der Kapuze hervorschauen, kleben ihr im Gesicht. Vor ihr steht eine Holzkiste voller Erdbeeren. Die meisten davon sind schimmlig oder haben Druckstellen, sodass sie nicht mehr verkauft werden können. Anna pickt mit beiden Händen die Früchte heraus, die zwar etwas lädiert, aber noch genießbar aussehen. Neben ihr stehen weitere Kisten mit Salat, Zucchini, Aprikosen und Papaya. Hinter ihr warten die bereits überquellenden Mülltonnen des Ladens auf Abfall. Es riecht süßlich nach Fäulnis, der Regen spült braune Rinnsale in den Gully. Was nicht im Müll landet, nimmt Anna mit zum sogenannten Fairteiler. Dort kann sich jeder kostenlos das gerettete Obst und Gemüse abholen.

Food Saver wie Anna sind in vielen Städten unterwegs und bewahren Lebensmittel vor dem Wegwerfen. Denn was nicht mehr im Laden verkauft werden kann, ist oft noch verzehrbar. Hinter dem Netzwerk, das diese Aktionen anregt und betreut, steht der Verein Foodsharing. Er ist Teil der Share Economy. Was genau zu diesem Marktmodell gehört, wird viel diskutiert. Zahlreiche Organisationen, Vereine und Unternehmen beanspruchen den Trendbegriff für sich. Dabei entstehen zwei Strömungen der Share Economy, die immer weiter auseinanderdriften und sich kaum noch miteinander vereinbaren lassen. Das noch junge Marktmodell steht an einem Scheideweg.

Wenn wir über die Share Economy sprechen, müssen wir unterscheiden, um welche Initiativen oder Unternehmen es geht. Prof. Dr. Frank Adloff ist Soziologe an der Universität Hamburg. Er unterscheidet zwischen zwei Extrempolen. Auf der einen Seite stehen kleine Initiativen, bei denen Leute ohne einen dritten Anbieter im Hintergrund zueinanderfinden. Dort werden Waren geteilt oder getauscht. „In diesem Fall spielt das im engeren Sinne Ökonomische keine große Rolle. Da geht es um Nachbarschaftlichkeit, um Prinzipien und um gegenseitige Hilfe.“ Ein Beispiel dafür ist der Umsonstladen. André Lindert ist so zur Share Economy gekommen. Als er nach Nürnberg zog, lernte er die kleine Einrichtung kennen. Sie basiert auf dem Prinzip, dass jeder Kleidung, Möbel, Geräte oder andere Gebrauchsgegenstände, die er nicht mehr regelmäßig benutzt oder haben möchte, mitbringen kann. Im Gegenzug darf man sich etwas mitnehmen, bis zu drei Teile sogar ohne selbst gespendet zu haben. Mehr als zwei Jahre lang arbeitete André im Laden. „Die Geber waren froh, wenn jemand anderes ihre Sachen noch gebrauchen konnte und sie ihre noch guten Stücke nicht wegwerfen mussten. Wir kaufen ja doch immer mehr nach und sortieren viel zu selten aus.“

Den kleinen Initiativen gegenüber stehen große Unternehmen, die eine Profitmaximierung anstreben. Frank Adloff sieht dort das primäre Ziel im Finanziellen. „Denen, die daran teilnehmen und zum Beispiel über Airbnb eine Ferienunterkunft suchen, gefällt, dass sie Geld sparen, aber auch das Prinzip an sich. Es verschränken sich ökonomische und soziale Motive. Die Plattformen, die dahinterstehen, verfolgen jedoch rein kapitalistische Ziele.“ Allein Airbnb, eine Plattform zur Vermittlung privater Unterkünfte, hat inzwischen einen Marktwert von über 25 Milliarden US-Dollar.

Um die Entwicklung hin zu den beiden Polen nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf die Entstehung des Teilens hilfreich. Das Phänomen der Share Economy belebt eine ganz klassische Form des Handelns neu. Laut Prof. Dr. Daniel Veit, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Augsburg, rührt sie aus der Zeit, in der das Tauschen von realen, also greifbaren Gütern im Vordergrund stand. Neue digitale Marktplätze bieten die Möglichkeit, diesen zweiseitigen Handel wieder aufzunehmen, indem sie es potenziellen Handelspartner erleichtern, sich zu finden. Heute werden in diversen Mischformen der Share Economy auch Preise für Güter oder Dienstleistungen bezahlt, die jedoch im Vergleich zu umsatzgetriebenen Märkten alternative Ziele verfolgen, wie das der Kostenreduktion. Durch das Vermieten von Autos oder dem Anbieten des eigenen Sofas für Übernachtungen können die für Versicherung oder Miete anfallenden Kosten leichter gedeckt werden. Bei großen Unternehmen wie Airbnb kann man jedoch nicht mehr von einer reinen Kostendeckung reden. Das Unternehmen verlangt eine Servicegebühr für die Gästevermittlung, die Abwicklung der Zahlungen und zur Deckung der Betriebskosten. Einige Investitionen, wie zum Beispiel für die Entwicklung und Instandhaltung der App fallen jedoch nur einmalig oder im kleinen Rahmen an. Die App wird dann jedoch millionenfach genutzt und bei jeder Buchung fällt erneut eine Gebühr an. „Diese Skaleneffekte führen dazu, dass letztendlich die dort entstehenden Gewinne die vorhandenen Kosten erheblich übersteigen“, meint Daniel Veit.

Aber ist das dann noch Sharing? Wo fängt die Share Economy an und wo hört sie auf? Die Antwort hängt vom Standpunkt ab. „Das ist ja nicht rechtlich oder irgendwo sonst festgelegt. Wir können beobachten, dass es seit etwa fünf Jahren einen Diskurs um dieses Thema gibt“, so der Soziologe Frank Adloff. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Veit findet: „Die Share Economy hat letztlich die Eigenschaft, viele Bereiche des Lebens transparenter zu machen und durchzuökonomisieren – was häufig auch kritisch gesehen wird. Es wird letztlich der privateste Bereich, das eigene Leben, stärker genutzt als ein potenzielles Tauschgut“. Ein wenig scheinen sich die Eigenschaften der Share Economy an den beiden Wortteilen auszurichten. Entweder das Teilen, also Sharing, steht im Vordergrund, oder die Economy, also die wirtschaftlichen Überlegungen.

Foto: André Lindert

Foto: André Lindert

In der Share Economy kommt im Idealfall beides zusammen und kann sich gut ergänzen. Diese Erfahrung hat auch André Lindert gemacht. Er ist ein Verfechter der Share Economy und setzt sich beim gemeinnützigen Verein Bluepingu für eine soziale Gesellschaft ein. Für ihn bietet die Share Economy die Chance, an einem Markt ohne Geld als Einstiegshürde teilnehmen zu können. Stattdessen wird die Zeit zum entscheidenden Faktor. Zeit, um beim Couchsurfing Kontakt herzustellen und sich zu verabreden, oder um beim Foodsharing verdorbene von essbaren Lebensmitteln zu trennen und anderen zur Verfügung zu stellen. „Es geht auch darum, mit anderen Leuten Zeit zu verbringen. Jeder kann ohne Voraussetzungen teilhaben und Überfluss wird geteilt.“ Um Ideen und Orte, an denen Sharing gelebt wird, zu sammeln, hat André als Abschlussarbeit seines Designstudiums das „LeihBu“ herausgebracht. Darin finden sich in Themenkapitel aufgeteilt über 80 Projekte, Vereine und Organisationen, bei denen das gemeinsame Nutzen im Vordergrund steht und es die Möglichkeit gibt, sowohl zu geben als auch zu bekommen. Das Buch soll weitergereicht, verliehen und beständig ergänzt werden und funktioniert damit selbst wie die Share Economy.

Der soziale Faktor des Sharing ist vorhanden. Kurz- und mittelfristig entsteht ein erheblicher Mehrwert, Daniel Veit spricht von einer „Wohlstandssteigerung des Individuums bei gleicher Kaufkraft“. Andere wollen dagegen die Konsumgesellschaft überwinden. Für sie fällt der ökonomische Teil der Share Economy nicht unter den Begriff des Teilens, da das Bereitstellen von Gütern gegen Geld als Vermieten angesehen wird. Frank Adloff erkennt deshalb ein großes Missverhältnis. „Ich glaube, dass die Share Economy langsam an einem Scheideweg steht. Geht es mehr in Richtung Ökonomisierung, von der vor allem große Unternehmen und nicht die Einzelnen profitieren? Oder geht es eher zu den kleinen Initiativen, die nicht auf das Monetäre setzen, sondern auf wirkliches Teilen? Ich glaube, dass noch gar nicht klar ist, wohin die Reise geht.“

Die Richtung ist abhängig von den Motiven und die sind bei jedem anders. Für Food Saver wie Anna Meissner geht es darum, durch das Retten und Bereitstellen von Lebensmitteln einen ökologischen und sozialen Beitrag zu leisten. Sie spart zwar Geld, weil sie gerettetes Essen mit nach Hause nehmen kann, jedoch ist der zeitliche Aufwand bedeutend höher und die Ideologie dahinter weitaus wichtiger. André Lindert zieht einen klaren Trennstrich zwischen gemeinnützigen und wirtschaftlich orientierten Anbietern. „Die richtige, die wahre Share Economy sozusagen, das sind Projekte und Orte, die aus der Gesellschaft heraus entstehen.“

Autorin: Julia Riese