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Europawahl – zwischen Routine und Schicksalswahl

Der 26. Mai ist ein historischer Tag. Am 26. Mai ist Miles Davis geboren, an einem 26. Mai 1927 wird das Olympiastadion in München offiziell eröffnet und an demselben Tag in 1986 übernehmen alle Institutionen der EU die Europaflagge.

Ach ja, und dann ist der 26. Mai 2019 auch der Tag, an dem die Deutschen für das Europaparlament wählen dürfen. Dieser Sonntag wird ein Tag wie jeder andere, und doch kann sich danach für Europa einiges ändern. In den Medien geht die Europawahl häufig unter oder wird in einer allgemeinen Panikbewegung zur „Schicksalswahl“. Wenn man den Berichten und Prognosen glauben kann, könnte diese Wahl in die Geschichte eingehen und sogar die Zukunft Europas bestimmen. Und doch scheint das Interesse der BürgerInnen und der PolitikerInnen an dieser Wahl zu fehlen. Die Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl betrug gerade einmal 42,7 %, so tief wie nie zuvor. Für viele scheint die Europawahl unwichtig und nebensächlich, sei es weil sie denken, dass das EU-Parlament in politischen Fragen kein Gewicht hat, oder weil sie davon ausgehen, dass ihre Stimme kein Gewicht hat. Dabei wird gerade diese Wahl viele zukünftige Entscheidungen mitbeeinflussen. Es wird etwa angenommen, dass das neugewählte Parlament als einziges noch in der Lage sein wird, den Klimawandel aufzuhalten. Aber auch andere Konflikte wie die Flüchtlingskrise haben zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt und damit zum Aufschwung der EU-Skeptiker. 

Die Europäische Union ist die Einigung zwischen den Ländern, dazu bestimmt, Grenzen zu überwinden. Allerdings scheint es im Moment so, als sei die Patchwork-Familie Europa an ihre Grenzen gestoßen. Aus der Unzufriedenheit haben sich politische Gruppen herausgebildet, die das Konzept der EU hinterfragen und sogar ihre Auflösung fordern, was auch funktionieren könnte, wie die Brexit-Krise eindrücklich bewiesen hat. Demgegenüber positionieren sich Parteien, die aus Angst vor EU-Kritikern nur umso mehr ihre Europa-freundliche Haltung bekräftigen. Dabei scheint es widersprüchlich, dass gerade im Wahlkampf um die Parlamentssitze die Debatte zur Existenzberechtigung der EU so stark in den Vordergrund tritt. Bei der Bundestagswahl geht es schließlich auch nicht darum, ob man den Bundestag abschaffen sollte oder nicht.

Die Europäische Union ist allem voran ein Projekt, um einen relativen Frieden auf dem europäischen Kontinent zu wahren. Die Idee Europa ist kein Ideal, das nur auf dem Papier existieren kann. Europa ist etwas, das uns jeden Tag begegnet, eine Konstellation, die unseren Alltag prägt und uns durch ihre Vielfalt zu etwas mehr Weltoffenheit verhilft.

Natürlich ist das Projekt EU nicht fehlerlos. Natürlich müsste das System reformiert und verbessert werden. Es ist keine perfekte Demokratie, sogar weit davon entfernt. Auch bedeutet die Aufhebung der Grenzen, dass auf einmal Menschen mit völlig verschiedenen Voraussetzungen aufeindertreffen, was sowohl wirtschaftliche als auch politische Konsequenzen für die einzelnen Länder hat. Natürlich lassen sich Konflikte und Unzufriedenheit bei einer solchen Institution nicht vermeiden. Aber es geht allem voran um die Idee, trotz der geografischen und mentalen Grenzen miteinander zu arbeiten, anstatt sich gegeneinander zu bekriegen. Sollen wir diese Grundidee aufgeben, obwohl der Frieden innerhalb Europas schon seit einem drei-viertel Jahrhundert währt?

Die Europäische Union droht nicht etwa durch nationalistische, populistische und antieuropäische Bewegungen auseinanderzufallen. Nein, dafür gibt es die EU schon viel zu lange. Es geht nicht darum, die Proeuropäer zu verteidigen und gegen die Antieuropäer anzugehen. Viel eher geht es darum, in welche Richtung sich die EU in den kommenden Jahren entwickeln wird. Wird sie zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der jedes Mitgliedsland sich nur die Vorteile herausnehmen kann? Geht sie zurück zu einer rein wirtschaftlichen Gemeinschaft? Oder wird sie sich zu einem vereinigten Staatenbund weiterentwickeln? Wird die europäische Familie noch zusammenhalten können, bleibt es also nur bei einem Familienzwist, oder kommt es früher oder später zur Scheidung? Noch liegt diese Entscheidung bei uns, noch können wir die EU der Zukunft mit unserer Wahl mitgestalten.

Der 26. Mai 2019 wird also ein Sonntag wie jeder andere. Wie alle 5 Jahre werden die BürgerInnen der EU ein Parlament neu zusammenstellen. Und doch bedeutet sie etwas mehr als eine reine Routine-Entscheidung, vielmehr geht es um eine Prüfung. Denn bei dieser Wahl wird sich zeigen, ob die Europäische Union als demokratische Institution noch zukunftsfähig ist oder nicht. Tatsächlich liegt die eigentliche Bedrohung, der Faktor, der tatsächlich zur Auflösung der europäischen Union führen könnte, in der Gleichgültigkeit der EU-BürgerInnen. Denn wie kann eine demokratische Institution bestehen, wenn keiner hinter ihr steht?

Autorin: Marie Frevert