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Das Paradox der Nachhaltigkeit

Kommentar von Acelya Aksu

„Ich möchte nachhaltig leben“, sagte ich am Essenstisch – und dann gings schon los:

  • Was ist mit Lebensmitteln in Plastikverpackung? 
  • Was ist mit deinen günstigen Klamotten? 
  • Dann kannst du ab sofort nicht mehr mit dem Auto fahren! 
  • Und Bio ist doch teuer, dass kannst du dir sowieso nicht leisten. 

Ich habe mich wohl falsch ausgedrückt und in dem Sinne „Halt die Schnauze und iss fertig“.

 

Was nachhaltig ist

Fridays for Future kennt wohl jeder, oder zu mindestens ihre Beteiligung. Sie setzen sich für Nachhaltigkeit ein, denn das ist genau …was? Nachhaltigkeitsbestrebungen haben den Sinn, die Welt plastik-, ausstoß- und schadstofffreier zu machen. Also sprich, das Industrielle so zurückzuschrauben, sodass man dadurch seinen eigenen, sowie den allgemeinen CO2-Ausstoß, der von der Weltbevölkerung ausgeht, verringert. Außerdem wird versucht, bewusst zu konsumieren und damit Verschwendung zu vermeiden. Warum das Ganze? 

Unsere Erde steht inmitten in einer Krise – die Klimakrise!

Der Kohlendioxidausstoß, und somit auch die Temperatur, auf unserem Planeten steigt seit der Industriellen Revolution stetig an. Der menschengemachte Klimawandel betrifft aber nicht nur das Abschmelzen der Pole oder den zunehmend schwindenden Regenwald. Nein, er wird langfristig auch uns treffen. Durch egoistisches Handeln vernichten wir nicht nur unser Öko-System, wodurch die Artenvielfalt auf dem Planeten Erde, sowie die lebenswichtigen und zwingend notwendigen natürlichen CO2-Filter zerstört werden. Auch aus sozialer Sicht sind die steigenden Temperaturen besorgniserregend, da uns dadurch in den nächsten Jahrzehnten mehr Klimaflüchtlingen begegnen werden als jemals zuvor. Diese Menschen werden aufgrund von Dürreperioden und somit kommenden Hungersnöten fliehen. Damit das nicht passiert ist nachhaltiges leben wichtiger denn je!

Wem das nicht bewusst ist: Jeder Mensch besitzt allein durch seine bloße Existenz einen ökologischen Fußabdruck. Dieser Abdruck zeigt, wie viel CO2 wir durch unsere Lebensart produzieren und ausstoßen. Hier geht es aber nicht nur um Fortbewegungsmittel! Jedes Produkt und jede Dienstleistung, die wir verwenden, kann Müll und Schadstoffe verursachen, die sich wiederum negativ auf unseren ökologischen Fußabdruck ausübt. Ich versuche das mal beispielhaft an einem „Klimakiller“ darzustellen – Cheeseburger zu sich nach Hause liefern lassen:

Ganz am Anfang der Kette müssen also alle Bestandteile eines Cheeseburgers hergestellt werden. Abgesehen vom Anbau des Weizens, Salat, Gurken, Tomaten und Zwiebeln geht hier schonmal der meiste Wasserverbrauch und größter CO2-Ausstoß auf die Kappe von Fleisch und Käse. Generell ist die „Produktion“ von tierischen Produkten sehr ressourcenintensiv. Für 1kg Rindfleisch werden im Durchschnitt etwa 15.400 Liter Wasser benötigt. Außerdem müssen Rinder auch gefüttert werden, schließlich ist Fleisch keine Pflanze, die man nur gießen muss. Dazu kommen also pro Kilogramm Fleisch ca. 11,65kg Sojaschrot. Für dieses Soja – was nicht fälschlicherweise ausschließlich für Tofu angebaut wird – wird der Regenwald abgeholzt, die grüne Lunge unserer Erde. Für Käse braucht man ca. das Zehnfache an Ressourcen. Damit hört das ganze ja nicht auf. Die Lebensmittel müssen zu den Köch:innen geliefert werden, die das Gericht dann zubereiten. Lagerung und Fahrt belasten schon auf den Weg zur Küche die Erde,  ebenso wie von der Restaurantküche zu uns. Abgesehen davon wird das Essen – mittlerweile durch Gesetze nun plastikfreier – in Einwegverpackungen verpackt, was auch wieder Müll produziert. Am Ende finden wir vielleicht sogar das Essen nicht gut oder es ist zu viel. Dann heißt es für viele: ab in die Tonne. Dadurch schmeißt übrigens jede:r Deutsche im Durchschnitt pro Jahr etwa 1/3 des gesamten Essens weg.

So viel Aufwand, zum Teil einfach nur in den Himmel geschossen. Und wenn das dann jede:r so macht? Und wenn alle Länder kein Bock auf Klimaneutralität haben? Na dann:

Ist alles ziemlich beschissen. 

Nachhaltigkeit endet wohl nicht nur beim „Wasser sparen und weniger Auto fahren“. Wer es wirklich bis zur Spitze treiben möchte, müsste zwangsläufig Selbstversorger mit heimischen Eigenanbau werden, um wirklich seinen CO2-Ausstoß zu minimieren. Dass da also Kritik aus jeder Seite schießt, ist nicht nur klar, sondern verursacht auch Feinstaub.  

 

Besserung ist schwierig

Den Fortschritt zu bremsen ist kein neues Phänomen. Allem was neuartig und ungewohnt ist, wird oft mit Skepsis entgegengetreten. Natürlich reden wir hier von Reduktion und Veränderung. Und gerade bei Nachhaltigkeit fällt es vielen schwer zu verstehen, dass kleine Schritte einen näher ans angestrebte Ziel bringen, als wenn man gar keine Schritte unternimmt und nur auf der Stelle stehen bleibt. Außerdem wird es Verbrauer:innen heutzutage sehr einfach gemacht, auf diese Dinge keine Rücksicht zu nehmen. Beispielsweise ist verpackungsfrei auch immer ein „Herumgetrage“ beim Einkaufen. Wer hat denn schon Lust immer Tüten, Dosen und Gläser mitzuschleppen? Die Bequemlichkeit eroberte den Menschen schon immer! 

In unserer Welt existiert die Heuchelei.

Das Paradoxe ist doch, dass nachhaltiger leben mit Perfektionismus gleichgesetzt wird. Wie ganz am Anfang erwähnt muss direkt eine 180° Wendung erfolgen, egal ob es für dich machbar ist oder nicht. Wer in dieses Raster nicht fällt, der bekommt die Kritik zu spüren. Man wird zum Heuchler: Jemand der behauptet, dass man etwas nicht gut findet, aber daran nichts ändert. Beispielsweise wird kritisiert, dass man nun pflanzliche Alternativen bei Fast-Food-Ketten konsumiert, die jedoch im gleichen Fett wie die anderen Produkte zubereitet werden. „Wo bleibt denn da der Sinn, wenn’s im gleichen Fett gebraten wird? Kannste gleich das normale kaufen!“. Andererseits, wird das Angebot nicht wahrgenommen, dann folgt: „Nichts passt den Leuten, dann braucht man auch nichts zu ändern!“ Aber ist das nicht paradox? Statt darüber zu diskutieren, ob nun das sinnvoll ist oder nicht, wird der Fortschritt einfach ausgeblendet. Nachhaltigkeit sei sowieso „unnötig, teuer und viel zu anstrengend“. Dabei kann man schon viel bewirken mit kleinen Veränderungen. 

Das Ganze erinnert mich an eine das Gespräch mit meinem Bruder. Ich habe seit geraumer Zeit eine Holzzahnbürste mit Plastikborsten. Lieber eine mit minimalem Anteil an Plastik als eine aus 100% Plastik, oder? Fand‘ mein Bruder nicht. „Das bisschen Plastik weniger bringt doch gar nichts!“. Stimmt ja, die Borsten machen vielleicht 1/5 der kompletten Bürste aus, abgesehen von der Verpackung. Der restliche 4/5 Plastikanteil ist schließlich unbedeutend, wenn man überlegt, wie viele Menschen denn eine herkömmliche Plastik-Bürste verwenden. Diesen Teil von Plastik einzusparen macht absolut gar keinen Sinn! – Ironie off.

 

Die Lösung (?)

Niemand ist perfekt, ist klar! Und es wird einem in unserer Konsumgesellschaft auch einfach gemacht, den wahren Wert eines Produktes und dessen Folgen auf den allgemeinen ökologischen Fußabdruck zu kaschieren oder zu verdrängen. Warum auch sollte man auch nicht auf ein günstiges Produkt zurückgreifen, wenn man nie von den negativen Folgen, die damit zusammenhängen gehört hat? Fast Fashion Klamotten sind eben günstiger als ein Fairtrade Shirt, dafür kann man ja nichts, oder etwa nicht? Oder was soll das auch mit diesen pflanzlichen Alternativen, die jetzt überall aus den Supermarktregalen sprießen? Das ist ja schließlich im Trend und deshalb auch so teuer. Außerdem ist es doch einfach aufwändig auf so vieles zu achten. Eine Konfrontation mit der Realität der Produkte wird zwar ab und zu erläutert – doch sind wir mal ehrlich – wen juckt das?

Solange kein Bezug zu der Thematik und Problematik besteht, wird es gekonnt ignoriert. Schließlich würde der Mensch doch daran kaputt gehen, wenn er für jedes Leid der Welt etwas empfinden würde. Doch Wegschauen ist keine Lösung, selbst wenn der emotionale Bezug fehlt und wir uns die langfristigen Auswirkungen nicht bewusst werden wollen. Eine Welt, in der jede:r wegschaut und egoistisch handelt, ist zwangsläufig nicht nur kalt, sondern auch tot – also im wahrsten Sinne des Wortes. 

Wir sind sonst am Arsch!

Es ist klar, dass viele Firmen greenwashing (= etwas als ‘nachhaltig’ verkaufen, auch wenn es vielleicht gar nicht so nachhaltig ist, wie es vorgibt zu sein) betreiben und viele nur dem Trend folgen, sei es nun im Lebensmittelbereich oder bei anderen Produkten. Nicht jedes Unternehmen ist das Gelbe vom Ei, aber bevor wir den allgemeinen Fortschritt verteufeln, weil es da an der einen oder anderen Stelle einige Macken gibt, sollten wir lieber mit diesen Möglichkeiten arbeiten. Ja, viele Firmen führen beispielsweise neben den klimaschonenden Alternativen auch ein konventionelles Sortiment, gerade in Bezug auf Lebensmittel. Genauso gibt es Alternativen für Hygienemittel in Plastikbehälter, die aber biologisch abbaubar sind. 

Soll ich aber nun dem Markt zeigen, dass ich den Fortschritt scheiße finde, indem ich alles boykottiere, was nicht 100%ig von mir als nachhaltig abgestempelt ist? Oder sollte ich nicht viel eher einsehen, dass jeder kleine Schritt in die richtige Richtung wichtig und unterstützenswert ist, auch wenn er von einem großen Konzern kommt, der per se eigentlich nicht meinen Idealvorstellungen entspricht?

Ich finde irgendwo muss man ein einfach einen Kompromiss schließen – zu mindestens aktuell!

Wer vegan, Öko, verpackungsfrei und regional einkaufen möchte, der muss momentan einfach viel Zeit in Weiterbildung und Durchführung investieren. Mir persönlich ist einfach wichtig eine Nachfrage zu schaffen, in der die Mehrheit auch ab und zu auf Alternativen greift, um eben nachhaltiger die Welt zu gestalten. Denn wie fast immer auf dem Markt: Angebot und Nachfrage! Und gerade durch diesen Wandel in unseren Köpfen, in unserem Verhalten und individuellen Handeln wird Nachhaltigkeit einfacher. Zudem sind auch Bewegungen wie Fridays for Future richtig und wichtig, welche erreichen wollen von der Politik gehört zu werden, die schließlich auch eine entscheidende Rolle beim Erreichen der allgemeinen Klimaziele spielt. Durch das Pariser Klimaabkommen und neue Gesetze, wie das Verbot von Plastik-to-go Verpackungen ab Juli 2021, trägt auch sie ihren Teil dazu bei. 

Wenn also das nächste Mal deine veganen “Chicken” Wings im gleichen Hähnchenfett frittiert, dein Einkauf teils noch in Plastik gehüllt ist und du noch ab und an deine Arbeitsjeans von H&M holst, dann mach dich nicht fertig. Ein nachhaltigeres Leben ist, wie vieles im Leben, kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist nur wichtig, dass man am Ball bleibt und weiter macht, denn jeder Schritt ist besser als gar keiner. Und je mehr Menschen dabei sind und mitspielen, desto einfacher wird’s!.

Autorin: Acelya Aksu