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Midnight-Madness die Erste – oder: Was mir heute mal wieder alles nicht passt

Kommentar von Madelaine Wilma

Lebensverändernde Motivationsschübe mitten in der Nacht, das drängende Gefühl, sein Leben umzukrempeln, das Zimmer aufzuräumen und die, im Winde des halb geöffneten Fensters wehenden, Essenskrümel der letzten Orgie zu beseitigen – wer kennt es nicht? Heute Nacht, es ist 00:21 Uhr, stehe ich im Bad, bin gerade mit der Schleife meiner hellgrauen Jogginghose, die ich vermutlich schon seit drei Tagen trage, an der Türklinke hängen geblieben, als ich den Gang nach Canossa aka mein Badezimmer angetreten habe. Das war’s dann. Jetzt ist sowieso alles kacke.

Eigentlich kann ich jetzt auch nochmal runtergehen und mir ein Mitternachtsmüsli holen. Diesmal aber ein großer Bogen um die Teufels-Klinke, einmal Todfeind reicht mir. Kühlschrank auf, Blick auf und ab, Kühlschrank zu, Hyänenschrei verkneifen, immerhin ist es schon 00:24 Uhr. Wer auch immer vergessen hat, eine neue Milch kühl zu stellen, kann sich gerne auf meiner schwarzen Liste unter den Klinken und Schleifen eintragen. Zwei Schritte zurück. Meine ausnahmsweise mal reinweißen Socken sind jetzt nicht mehr so clean. Die Pfütze vor der Spülmaschine ist schuld. Ich kanns nicht gewesen sein, hab‘ ja „vergessen“ sie auszuräumen, als ich darum gebeten wurde. Nasse Füße. Ich gehe wieder nach oben, im großen Bogen um die Türklinke. Stufe, Stufe, Stufe. 

Achja, Badezimmer. Warum dachte ich nochmal, ich müsste mich heute Morgen schminken? Uni kann’s nicht sein, bin ja eh nur zuhause vor meinem rauschenden Zoom-Bildschirm. Passbild. Das war’s. Hab‘ ich aber nicht geschafft. Die 37 Videos zur Kunstgeschichte von 15-hundert-Urgroßmutter wollten gesehen und bearbeitet werden. Also morgen nochmal. Schließlich muss ich mich ausweisen können, wenn die Gesetzeshüter kontrollieren wollen, ob ich um 22:01 Uhr auch wirklich auf meinem eigenen Grundstück stehe. Checkliste für morgen: schminken morgens, abschminken abends. Das Bild wird trotzdem schrecklich. Nicht weil ich hässlich bin. Finde ich. Sondern seien wir mal ehrlich, wer mag schon sein Ausweisbild? Wenn du einer der wenigen Menschen bist, die ihr biometrisches Passbild bei einer Modelagentur einreichen könnten: Glückwunsch, ehrlich. Es regnet, morgen auch. Scheiße. Wäre eine gute Gelegenheit mein Picasso-anmutendes Kunstwerk fertigzustellen, das seit Oktober auf seine Vollendung wartet. Ist ’ne Medusa, ähnlich steinern wirkt es auch. Ich bin unzufrieden. Male lieber eine konsumierende Comicfigur. Weniger Versteinerung, mehr Höhenflug. 

Ich laufe durch den Flur, gekonnt vorbei an allen angriffslustigen Türklinken, während mich das flackernde Nachtlicht in der Steckdose kritisiert. „Warum siehst du alles so negativ?“ Ich stecke es aus. Ich bin nicht negativ, es ist nur 00:36 Uhr, ich bin müde und will schlafen, aber muss so viel machen. Zumindest fährt das Karussell in meinem Kopf Runde um Runde um Runde und bleibt nicht stehen. Vielleicht bin ich um 00:41 Uhr wieder gewohnt Friede-Freude-Eierkuchen-positiv gelaunt. Morgen muss ich duschen. Wann hab ich das eigentlich das letzte Mal gemacht? Hoffentlich reißt mir bis dahin nicht noch einer meiner neonorangefarbenen Fingernägel ein, dann dauert Haare waschen wieder so lange. Eigentlich könnte ich jetzt gleich damit anfangen. Aber Schlaf ist ja wichtig. Hat das mal jemand meinen Nachbarn gesagt? Ich bin immerhin Studentin, in engeren Kreisen auch Siebenschläfer genannt. Nachtaktiv. Im Umkehrschluss heißt das aber, ich will morgens ausschlafen. Wozu brauchen sie überhaupt einen Wintergarten? Winter ist doch vorbei. Und wenn überhaupt, gehört der sommertaugliche Wintergarten ganz bestimmt nicht so nah an mein Fenster, dass ich mich winterlich-kuschelig an ihm anlehnen kann. Der Weg durch den (nun dunklen) Flur ist gemeistert, das Klinken-Monster besiegt. Abgeschminkt, Zähne geputzt, Pipi-Pause. Zurück ins Zimmer. Heute passiert nichts mehr, weil die anderen Siebenschläfer ihre Hausarbeiten noch schreiben müssen. Habe meinen kleinen Zeh am neuen Schrank angestoßen und bin fast die Treppe runtergefallen, ist ja dunkel. 

Ich hoffe ihr kennt das, wenn nicht ist das vielleicht peinlich. Vielleicht auch nicht. Mir egal. Ich gehe schlafen, immerhin ist es 00:56 Uhr. Diesmal war der Bogen nicht groß genug. Gute Nacht.

Autorin: Madelaine Wilma