funklust Porträt web

Den Bildungshunger mit in die Wiege bekommen

Sagith lehnt an einer Hauswand und lacht in die Kamera.
Bild: Sagithjan Surendra
Ein Portrait über Sagithjan Surendra

Innovativ, einzigartig und vor allem herausragend. So beschreibt die Jury das Engagement des FAU-Studenten Sagithjan Surendra, für das sie ihn mit dem Titel „Student des Jahres 2020“ auszeichnen. Mit nur 18 Jahren gründete er das Aelius Förderwerk e.V., um sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen. Die Motivation dafür bezieht Sagith aus seiner eigenen Biografie.

„Sometimes I feel like (…) our education system is like playing the lottery. Anyone can win – but not everyone.” Sagithjan Surendra steht auf der Bühne des Audimax der Ruhr Universität Bochum. Hinter ihm leuchten im hellen Orange die Buchstaben TEDx, während er von einer Welt erzählt, in der jeder Mensch sein volles Potential ausschöpfen kann – egal aus welchen sozialen oder finanziellen Umständen er kommt. Sagith selbst verfolgt das TEDx-Format bereits seit Jahren mit Begeisterung. Dass er selbst einmal vor dem Publikum stehen wird, um von seiner Idee und Vision zu erzählen, malt er sich in seinen kühnsten Träumen nicht aus. Das Orga-Team von TEDx hingegen ist beeindruckt von seinem Förderwerk Aelius und lädt den Bachelorstudenten zum TEDx-Talk 2019 ein, bei dem sich der damals 20-Jährige die Bühne mit Professoren, Doktoren, Forschern und Entrepreneurs teilt.

Zusammen mit seinem Team des Aelius Förderwerk setzt sich Sagith seit drei Jahren für faire Bildungschancen in ganz Deutschland ein. Ihr Programm unterstützt Kinder, Jugendliche und Studierende und fördert sie individuell – unabhängig von ihrem Migrationshintergrund oder Wohnort. Aelius vermittelt den Schüler:innen unter anderem persönliche Mentoren. Die nehmen die Kinder an die Hand, verwirklichen gemeinsam spannende Projekte und wecken somit Interessen für völlig neue Themengebiete.  Ein Beispiel dafür ist das Projekt Strato: Hier schickten die Kinder eine Legofigur auf einer Sonde an den Rand unserer Atmosphäre. Zusammen wurde ein Wochenende lang von den Schüler:innen am Projekt gearbeitet und alles vorbereitet und tatsächlich schaffte es die Sonde auf 37km Höhe. Stolz postet Sagith ein Foto der Legofigur in der Stratosphäre auf Instagram: „Wir haben Aelius gegründet, um jungen Menschen zu zeigen, dass es kein Ziel gibt, das für sie nicht greifbar ist. Gestern hat auch mir Aelius das Unmögliche möglich gemacht.“ Eine Erfahrung, die die Kinder ohne Aelius womöglich niemals gemacht hätten. 

Die Idee zum Aelius Förderwerk kam Sagith nach seinem Abitur. Zu diesem Zeitpunkt merkte er deutlicher denn je, dass nicht jede:r mit den gleichen Startbedingungen ins Bildungssystem einsteigt. Seine Eltern konnten ihm schon in der Schule wenig helfen und als es nun um die Planung seines Studiums ging, war er auf sich allein gestellt. 

Sagith selbst ist in Nürnberg geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seine Eltern kommen aus Sri Lanka und sind gerade dabei sich eine Zukunft aufzubauen, als 1979 der Bürgerkrieg auf der Insel ausbricht. Sagiths Vater gehört zur tamilischen Minderheit und erfährt auf Sri Lanka jeden Tag systematische Diskriminierung. Auch an den Universitäten gibt es zu dieser Zeit eine Obergrenze für tamilische Studierende, die Sagiths Vater ein Studium unmöglich machen. Als sich die Lage im Land mehr und mehr verschärft, entschließen sich die Eltern nach Deutschland zu fliehen. Nach ihrer Ankunft wird jedoch schnell klar: Ihr Schulabschluss wird vor Ort nicht anerkannt. Über den Bildungswunsch von Sagiths Vater legt sich eine niedrige, gläserne Decke. „Seine Geschichte hat mich stark beeinflusst. Ich möchte mich dafür einsetzten, dass Schülerinnen und Schüler heute nicht an solchen gläsernen Decken scheitern müssen“, erklärt Sagith. 

Er selbst wurde bereits in der Oberstufe in ein Stipendienprogramm für Schüler:innen mit Migrationshintergrund in Bayern aufgenommen und trifft so schnell auf Jugendliche mit ähnlichen Geschichten. „Dieses Gefühl zu wissen, dass man mit seiner Biografie nicht allein ist, ist unglaublich bestärkend,“ erklärt Sagith. Zu dieser Zeit lernt er auch Gülsenem Iskender kennen. Sie kümmert sich heute um die Finanzen bei Aelius. Als er ihr nach dem Abitur von seiner Idee erzählt ein bundesweites Förderprogramm zu starten, ist Gülsenem sofort mit an Bord: „Er fragte mich, ob es nicht toll wäre, jetzt selbst Hilfestellung geben zu können und die Rolle unserer damaligen Betreuer zu übernehmen. Für ihn war es immer eine Herzensangelegenheit.“ 

Sagiths Plan steht fest! Er möchte einen Förderverein gründen, und zwar noch während seines ersten Semesters der Molekularen Medizin. Viele schlaflose Nächte investiert der Studierende in die Recherche zur Vereinsgründung. 2017 ruft er dann mit sechs Freunden das Aelius Förderwerk e.V. ins Leben. Vier Jahre später zählt der Verein knapp 140 ehrenamtliche Helfer:innen und Mentor:innen sowie zwei hauptamtliche Mitglieder. Allein 2019 konnten sie so rund 2000 Schüler:innen bundesweit gezielt unterstützen. Sagiths Motivation und Tatendrang bleiben groß und mit Corona steht schon bald seine nächste Idee in den Startlöchern: 2020 gründet er Diginary Consulting. Mit seinem neuen Start-Up unterstützt er nun ehrenamtliche sowie Non-Profit-Organisationen bei Gründungsfragen und vor allem beim Digitalisierungsprozess.

Sein Bachelorstudium hat Sagith bereits erfolgreich abgeschlossen und studiert mittlerweile im Master Molekularer Medizin, ebenfalls an der FAU Erlangen-Nürnberg. Auf das Fach ist er damals durch eine Freundin gestoßen, die Medizin studiert. Besonders interessant findet er, dass das Fach eine Brücke zwischen der klassischen Medizin und den klassischen Naturwissenschaften schlägt. „Ich wusste immer, dass mir Naturwissenschaften liegen und ich gerne in die Forschung gehen möchte. Wichtig war mir dabei auch über den Tellerrand hinausschauen zu können.“ Die Forschung bereitet ihm zwar nach wie vor Spaß, in einem Labor sieht sich Sagith später aber nicht mehr. „Das wäre mir eine zu kleine, abgeschlossene Welt. Ich möchte gerne eine weitere Brücke schlagen – wohin genau muss ich mir noch überlegen.“

Doch nicht nur die Naturwissenschaften interessieren den nun 23-Jährigen, auch in kreative Projekte investiert er viel Zeit. Schon in der Schule begeistert er sich für die Fotografie – ein Traum, der auf Grund der finanziellen Situation der Familie lange unmöglich scheint. Mittlerweile kann Sagith seinem Hobby frei nachgehen. Besonders spannend findet er aber nicht etwa die Portraitfotografie, sondern das sogenannte Light Painting: „Sachen festzuhalten, die man klassisch nicht sieht, das fasziniert mich sehr – wie zum Beispiel die Milchstraße.“ Während seines Bachelorstudiums erfüllt sich Sagith auch einen weiteren Traum: Er reist nach Neuseeland. Schon vorher gab es an seiner Schule bereits ein Austauschprogramm mit dem Inselstaat, welches damals finanziell nicht für ihn in Frage kam. Durch sein Stipendium der Studienstiftung kann er 2018 dann an einem Auslandssemester teilnehmen: Für Sagith ist klar, dass es nach Neuseeland gehen muss. Vor Ort dreht er einen Kurzfilm mit dem Titel „Mourning“ und belegt kurzerhand den ersten Platz bei einem Film-Wettbewerb. 

Mittlerweile gewinnt der Medientrubel um Sagith immer mehr an Fahrt. Auszeichnungen wie der Deutsche Engagementpreis, der Bayerische Bürgerpreis, und die Eintragung in die Liste der „Top Talents under 25“ rücken ihn und das Aelius Förderwerk e.V. immer mehr ins Zentrum der Öffentlichkeit. Dieses Jahr ist Aelius sogar für den Bayerischen Digitalpreis nominiert. Sagith freut sich über die steigende Aufmerksamkeit für Aelius und das wachsende Bewusstsein dafür, wie wichtig faire Bildungschancen für alle sind – unabhängig von ihren individuellen Hintergründen. Besonders motiviert hat Sagith die Gemeinschaft mit den anderen Stipendiat:innen während seiner Schulzeit. „Alle sprechen immer von Benachteiligung – ich nenne es lieber Ressourcen. Aber egal wie wenig Ressourcen du hast, irgendwo gibt es jemanden, der daraufhin arbeitet, wo du gerade bist. Und demjenigen kannst du eine Stütze sein.“

Autorin: Anna Knake