Gleich vorab, ich liebe Bücher und ich bin kritisch, wenn Bücher, die ich liebe, verfilmt oder als Serie adaptiert werden. Habe ich also meine Seele schon vor zwei Jahren an Eric Heisserer verkauft, als bekannt wurde, dass er für Netflix Leigh Bardugos Grisha-Romane adaptiert? Vielleicht. Denn was für viele andere Harry Potter ist, das ist nun einmal bei mir die seit 2012 existierende und sieben Bände umfassende Welt des GrishaVerse.
Noch skeptischer wurde ich, als bekannt wurde, dass nicht nur der erste Band der Grisha-Trilogie „Eisige Wellen“, auf Englisch „Shadow and Bone“in der ersten Staffel untergebracht wird, sondern auch einige Figuren aus Leigh Bardugos „Das Lied der Krähen“ mitmischen würden. Da mir vor allem diese Figuren besonders am Herz liegen, hatte ich so meine Zweifel, wie genau sich Eric Heisserer und Leigh Bardugo dieses kleine Mashup vorstellten. Besonders da „Das Lied der Krähen“ zwar in der Welt des GrishaVerse spielt, zeitlich allerdings knapp zwei Jahre nach der Trilogie angesiedelt ist. Als bekannt wurde, dass die Serie praktisch eine Vorgeschichte für die Krähen sein sollte, wusste ich wirklich nicht, was ich davon halten sollte und hoffte einfach auf einen guten Cast und vertraute darauf, dass Leigh Bardugo ihre Figuren und Welt doch gut genug kennt, um das alles glaubhaft rüber zu bringen. Nach dem Casting war ich schon etwas beruhigter, denn das war bei so gut wie jeder Figur so on point, dass ich regelrecht sprachlos war.
Als die Serie dann am 23. April 2021 mit allen 8 Folgen online ging, habe ich mich nur zwei Tage später vor den Fernseher gesetzt und habe mich dort erst einmal nicht weg bewegt, denn all meine Sorgen waren so ziemlich umsonst und im Austausch für meine Seele habe ich eine richtig gute Serienadaption meiner Lieblingsromane bekommen.
Aber worum geht es in der Serie nun überhaupt?
Im Mittelpunkt der Handlung steht, wie in den Büchern auch, die Kartografin Alina Starkov (Jessie Mei Li), die im von Russland inspirierten Ravka lebt und dort Mitglied der Armee des Zaren ist. Innerhalb der Armee existieren zwei Lager: Die erste Armee, die sich ausschließlich aus gewöhnlichen Menschen zusammensetzt und die zweite Armee, angeführt von General Kirigan (Ben Barnes), in der ausschließlich magisch begabte Menschen, die sogenannten Grisha, dienen.
Vor Jahrhunderten erschuf ein solcher Grisha, der über die Fähigkeit verfügte Schatten zu kontrollieren, die sogenannte Schattenflur, welche Ravka nun in Ost und West Ravka aufteilt und von menschenfressenden Monstern namens Volkra bewohnt wird.
Als Alinas Einheit die Schattenflur durchqueren muss, werden sie von Volkra angegriffen und in Alina erwachen die Kräfte einer Grisha, die über das Licht herrschen kann. In ihr sieht Ravka nun endlich eine Chance, die Schattenflur für immer zu vernichten, doch General Kirigan, ein Nachfahre des Erschaffers der Schattenflur, hat seine ganz eigenen Pläne mit ihr.
In der Hauptstadt des Inselstaats Kerch wird eine Bande Krimineller damit beauftragt, Alina Starkov einzufangen und zu ihrem Auftraggeber zu bringen. Diese Gruppe setzt sich zusammen aus Kaz Brekker (Freddie Carter), Inej Ghafa (Amita Suman) und Jesper Fahey (Kit Young), drei Protagonisten aus dem Roman „Das Lied der Krähen“. Diese drei sind nicht die typischen Helden und keiner von ihnen hat die Motivation einer zu sein. Während ich Inej und Jesper noch als gute Menschen bezeichnen würde, geht es Kaz vor allem um seinen Profit. Er ist dafür bekannt, für die richtige Summe jeden Job zu übernehmen, ganz egal wie zwielichtig er auch sein möge. Trotzdem haben sie alle ihre ganz eigenen Moralvorstellungen, Träume und eine beinahe unerschütterliche Loyalität zueinander. Wenn man sie erst einmal kennt, kann man nicht anders, als sie ins Herz zu schließen und ihnen viel Glück bei ihren Raubzügen und anderen illegalen Aktivitäten zu wünschen.
Mit dem Auftrag, Alina zu fangen und nach Kerch zu bringen, beginnt die Serie sich von ihrer Vorlage zu lösen, aber anders als von mir befürchtet fügt sich der Plot perfekt in den Handlungsstrang der ersten Staffel ein. Der Handlungsverlauf bleibt zum Großteil dem des Buches sehr ähnlich, nur kleine Details ändern sich, Figuren werden neu eingeführt, Beziehungen werden geknüpft und kleinere Szenen verschieben sich oder fallen gänzlich heraus. All diese Veränderungen bieten allerdings mehr Vor- als Nachteile für die Serie.
Wie unterscheiden sich nun die Figuren in der Serie von den Büchern? Wurde bei einer Adaption tatsächlich mal etwas besser gemacht als im Buch?
In den ersten drei Büchern war man auf Alinas Sicht beschränkt, die Serie lässt den Zuschauer die Geschehnisse auch aus der Sicht ihres Freundes Mal, General Kirigan und der außenstehenden Gruppe rund um Kaz Brekker erfahren. Der in Ravka aufkeimende Bürgerkrieg, der im Buch nur eine Randnotiz ist, wird hier an manchen Stellen mehr thematisiert und auch General Kirigan wird eine vielschichtigere Person.
Was der Serie eindeutig auch gut getan hat, ist die Tatsache, dass der Cast, zumindest in meinen Augen, perfekt gewählt worden ist. Vor allem mit Ben Barnes in der Rolle von General Kirigan, Freddie Carter als Kaz Brekker und Amita Suman als Inej Ghafa wurde für mich alles richtig gemacht. Nicht zuletzt weil sich die Fans wohl seit 2012 Ben Barnes in dieser Rolle gewünscht haben, genauso war Amita Suman ein Liebling bei etlichen Fancasts. Freddy Carter bringt Kaz Brekkers stoische Gelassenheit und Motivationen nicht nur perfekt auf die Bildfläche, auch seine Gesichtszüge entsprechen den Beschreibungen seiner Figur. Wen interessiert es da schon, dass er blaue statt dunkelbraune Augen hat? Wir sind hier ja nicht bei Harry Potter, wo die Fans bis heute noch äußerst kritisch auf Abweichungen im Aussehen des Casts zu den Buchfiguren reagieren.
Zudem wurde darauf geachtet, dass der Cast der Haupt- und Nebenfiguren diverser als in den Büchern ist. So ist Alina durch die Schauspielerin Jessie Mei Li asiatischstämmig, wodurch ihr in der Serie mit Vorurteilen und Alltagsrassismus begegnet wird, was ihren Charakter in ein neues Licht rückt.
Ist die Serie jetzt aber auch für Menschen geeignet, die nicht mit der Welt und den Büchern vertraut ist?
Auf jeden Fall. Während jeder, der die Bücher gelesen hat, sich erst darauf einlassen muss, dass alles etwas neu und ein bisschen anders ist, können unvoreingenommene Zuschauer die Show von der ersten Sekunde an genießen. Man braucht kein Vorwissen, die Welt wird auf subtile Art und Weise erklärt und die Atmosphäre macht einfach süchtig.
Die Serie ist für Fans der Bücher, aber auch für jeden anderen, der Fantasy und Figuren liebt, die sich gerne in moralischen Grauzonen bewegen, nur zu empfehlen.
Für jeden, der sich einen ersten Eindruck verschaffen will, ist hier der englische Trailer:
Autorin: Lisa-Marie Kraut