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Pretty Privilege – Weil Schönheit uns Erfolg verspricht

Wenn du schön bist, bist du erfolgreich. Wenn du schön bist, hast du tolle Freunde. Wenn du schön bist, ist dein  Leben besser. – Und was heißt schön? Unsere Redakteurin Madelaine ist dem sogenannten „Pretty Privilege“ auf den Grund gegangen.

Bild: ddp images

Schön. Augen blau und aufrichtig oder Braun und vertrauenserweckend? Kleine Nase oder außergewöhnlicher  Zinken? Sommersprossen, ja oder nein? Haare wie Schneewittchen oder Cinderella? Größe à la Eiffelturm oder doch lieber der Gartenzwerg von nebenan? Weibliche Kurven oder sportlich elegant? Zu jedem optischen Merkmal gibt es mindestens eine Million Varianten, die dem allgemeingültigen, gesellschaftlich-konstruierten Schönheitsideal der angeblichen Perfektion und Makellosigkeit eigentlich in nichts nachstehen. Und dennoch hat „schön sein“ in der heutigen Welt definitiv Vorteile.  

Pretty Privilege – dieser Begriff beschreibt das Phänomen der erfolgreichen Schönen, die bevorzugt behandelt  werden, bewusst oder unbewusst, in jeglicher Lebenslage. Nun interpretiert jeder Schönheit anders, denn über Geschmack lässt sich nicht streiten. Schön und gut. Wenn nun aber der Interpretierende derjenige ist, der über meine Situation in gewisser Weise zu entscheiden vermag, würde ich doch gerne dem symmetrischen Idealtypus entsprechen. Sei es beim angespannten Bewerbungsgespräch um meinen Traumjob, in einer Bar im Krieg um den nächsten Drink mit den Massen an verschwitzten Gorillas, oder schlichtweg im sozialen Machtkampf um die Spitze der Nahrungskette der Gesellschaft.  

Den Schönen unter uns wird mehr Vertrauen geschenkt, Verantwortung zugemutet und Aufmerksamkeit zuteil.  Sie sind erfolgreicher, einflussreicher, beliebter und schlichtweg besser. Angeblich. Diese Feststellung machte der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Hamermesh bereits vor rund zehn Jahren. Diejenigen, die von der Gesellschaft nicht als hübsch wahrgenommen werden, müssen für ihren Erfolg schon immer härter arbeiten. Mir fällt es schwer, die zu diesem Thema angebrachte Meinung einseitig herauszustellen – Ablehnung! Vielleicht schlecht in Bezug auf das, was ich hier gerade zu formulieren versuche. Aber gut, um zu verstehen, was Pretty Privilege überhaupt ausmacht. Möglicherweise liegt das daran, dass ich gesellschaftlich-objektiv gesehen dem Schönheitsideal nahe komme und damit von den Vorteilen profitiere, statt unter den gegenüberstehenden Nachteilen zu leiden. Ich bin relativ groß, schlank, habe lange Haare, ein schmales Gesicht und inzwischen auch etwas reinere Haut. Bin ich deswegen schön? Bin ich dadurch besser? Ich möchte mich hier lediglich als Beispiel nennen. Wenn ich feiern war, hatte ich bestenfalls gerade genügend Geld für den ohnehin schon günstigeren Eintritt für feminine Wesen dabei. Meinen Getränkekonsum hatte ich bisher nie selbst zu  finanzieren, und das obwohl ich nicht ein einziges Mal darauf aus war, mich durch-zu-flirten, wie man so schön  sagt. Wenn ich mit meinen Freunden im Restaurant sitze, zu spät komme wie immer, und sie sich bei meiner Ankunft schon beschweren, dass der unaufmerksame Kellner noch nicht ein einziges Mal auch nur zu ihnen gesehen hat, dauert es vielleicht 30 Sekunden bis eine Bedienung erscheint. Und selbst beim Vorstellungsgespräch, insbesondere für kundenbezogene Jobs, werde ich bevorzugt. Nicht umsonst trifft man in Bekleidungsgeschäften à la Zara, oder Kosmetik-Läden wie Sephora nur standardisiert-hübsche Angestellte an, die das Aushängeschild der Firma repräsentieren sollen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, das Privileg gefiele mir nicht. 

Doch was bedeutet es für uns, wenn die Definition von Erfolg mit der von Schönheit gleichgesetzt wird? Und was heißt Schönheit 2021 wirklich? Die Generation Z, die Digital Natives, diejenigen, die mit dem Begriff Pretty Privilege auch ohne Erklärung etwas anfangen können, werden tagtäglich mit Unmengen an Bildern, bewegten Bildern und sich bewegenden bildschönen Menschen konfrontiert. Diese erreichen mit ihrem  Aussehen das, wovon Akne-bepickelte Teenager am anderen Ende der Welt kaum zu träumen wagen.  Psychologisch gesehen ein Alptraum. Und gleichzeitig Realität, heute mehr denn je. Um pretty zu sein, werden Videos bearbeitet und befiltert, Fotos gesmoothed und gefaked bevor sie den Weiten der sozialen Medien zur Verfügung gestellt werden. Influencer sind wohl das beste Beispiel für die Macht des Pretty Privilege. Was die ältere Generation als ansteckende Krankheit abstempeln würde, ist heute der einflussreiche junge, schöne erwachsene Mensch, der den Jugendlichen zum Kauf des 24sten Hautpflegeserums überredet, welches diesmal wirklich helfen soll. Die sozialen Medien verstärken den Effekt des Pretty Privilege um ein Vielfaches. Schließlich vergleiche ich mich jetzt nicht nur mit meiner besten Freundin, sondern mit internationalen Social Media Nutzern und Superstars. Was also tun, wenn ich nicht aussehe wie Kylie Jenner? Genau, ein Esslöffel Schönheits-Operationen, mindestens fünf Kilogramm Make-Up-Masse, dazu noch eine Prise Filter und das Rezept für den dadurch notwendigen Psychologen ist ausgestellt.  

Schönheit liegt im Auge des Betrachters und 2021 ist der Betrachter die ganze Welt. Wir sind mittlerweile soweit, dass uns bewusst ist, dass es keinen Idealtypus gibt. Dass Diversität gefeiert werden sollte. Dass sich  Komplimente nicht nur auf das Äußere unseres Gegenübers beziehen sollten. Jetzt müssen wir nur noch anfangen, das auch umzusetzen.

Autorin: Madelaine Wilma