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Manga-Rezension: Boys Run The Riot

Carlsen Manga bringt mit Boys Run The Riot einen Seinen-Manga (Genre, das sich primär an junge Männer richtet) heraus, der sich mit dem Alltag von Transgender-Personen in Japan befasst. In der Geschichte gründet der trans Junge Ryo gemeinsam mit seinen Freunden Jin und Itsuka ein Modelabel. Unser Redakteur Cassandra, die sich selbst keiner Geschlechteridentität eindeutig zuordnet und schon lange Manga liest, hat sich den Band genauer angesehen.

Bild: Carlsen Verlag

“Du, sie haben dein Buch anscheinend falsch herum gedruckt”, sagte unser Redakteur Richard zu mir, als er mir das Päckchen mit dem ersten Band von Boys Run The Riot, den wir vom Carlsen-Verlag zugeschickt bekommen haben, überreicht hat. Tatsächlich stimmt mit dem Band aber auf den ersten Blick alles. Denn der Inhalt ist in Originalleserichtung gedruckt – von rechts nach links – und der Softcover-Einband im großzügigem DIN-A5-Format macht einen hochwertigen Eindruck, lässt sich ohne großes Wenn und Aber vollständig aufschlagen (in diesem Format bei Weitem nicht selbstverständlich und gerade bei Manga oft schade).

Soweit zum ersten Eindruck. Aber wie sieht es mit dem Inhalt aus?

Wer jetzt eine Diskussion über die Darstellung von Transgender im Manga erwartet, den:die muss ich leider enttäuschen. Der Mangaka (Autor und Zeichner des Mangas) Keito Gaku hat in dem Werk seine persönlichen Erfahrungen als Trangender-Person in Japan verarbeitet. Ganz abgesehen davon, dass die japanische Kultur eine völlig andere ist als unsere, möchte ich über die Verarbeitung persönlicher Erfahrungen von niemandem urteilen.

In der Geschichte geht es um Ryoko. Von der Außenwelt als Mädchen wahrgenommen, fühlt er sich jedoch als Junge – was Keito Gaku bereits auf der ersten Seite eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Das bringt im Alltag einige Herausforderungen mit sich. Vor allem, was die Kleidung, die Ryo tragen möchte, angeht: In Japan gibt es Schuluniformen und strenge Dresscodes, die Mädchen häufig zum Tragen von Röcken verpflichten.

Wo wir schon von Klamotten reden: Die sind neben Ryos Transgenderidentität das zentrale Thema der Geschichte. Das ist nicht nur deshalb schön, weil es sehr gut zu Ryos Alltagsproblemen passt, sondern auch, weil Klamotten und die Art, wie wir uns über sie ausdrücken, ein allgemein greifbares Thema ist. Im ersten Band geht es vor allem um die Gründung des Labels: Zufällig stellen Ryo und Jin fest, dass sie den gleichen Modegeschmack haben und daraufhin kommt Jin die Idee. Er überzeugt den künstlerisch begabten, aber schüchternen Ryo davon und später stößt noch Itsuka als Fotograf hinzu. Die beiden Letzteren entwickeln dabei auch den Mut, der ihnen zu Beginn der Geschichte fehlt, und finden (teils unerwartete) Unterstützung.

Ich konnte sehr vieles von dem, was Keito Gaku im ersten Band darstellt, gut nachfühlen. Stellenweise hat mich dieser Manga sogar zu Tränen gerührt. Vor allem das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören oder die Angst davor, dass ein persönliches Geheimnis herauskommt, sind Dinge, die ich ebenfalls im Bezug auf mein eigenes Geschlecht erlebt habe, die aber nicht nur queere Menschen kennen.

Keito Gaku schafft es zudem, Transgender-Themen und -Probleme auf eine Art und Weise darzustellen, die sie auch mir als Person, die sich selbst nicht als trans identifiziert, zugänglich gemacht haben. Dazu gehört beispielsweise auch das Gefühl, sich im eigenen Körper nicht wohlzufühlen. Als jemand, der sich mit keinem sozialen Geschlecht (Gender) identifiziert, ist mir Genderdysphorie zwar nicht fremd, mit meinem biologischen Geschlecht (Sex) und somit meinem Körper bin ich aber ziemlich okay. Das ist bei trans Personen meist anders – und Keito Gaku zeigt mit seinen Bildern und den Worten, die er seine Figuren denken und sagen lässt, sehr gut, wie tiefgreifend und allumfassend das ist.

Als ob die inneren Probleme nicht genug wären, haben trans Personen aber auch oft genug noch mit zusätzlichen Problemen zu kämpfen: Von allen Untergruppen der LGBTQ+-Community sind trans Personen noch immer diejenigen, die die meiste Diskriminierung erleben. Diese Diskriminierung reicht von abfälligen Bemerkungen bis hin zu offener Gewalt.

Auch Keito Gaku zeigt in seinem Manga Diskriminierung – von der Tatsache, dass Protagonist Ryo Probleme aufgrund der Wahl seiner Kleidung bekommt, bis hin zum offenen Mobbing in der Schule. Aber auch die Angst vor dem Coming-Out wird thematisiert. So ist die Szene, in der Ryo sich seinem neuen Freund Jin anvertraut, vor allem von seiner Angst vor Zurückweisung dominiert und er traut sich auch nicht, seiner eigenen Mutter zu erklären, warum er lieber Männerkleidung trägt.

Ich kann kaum erwarten, wie es in den nächsten Bänden mit dem Label weitergeht. Dabei hilft nicht nur, dass Keito Gakus Charaktere durch und durch sympathisch sind und mit Problemen, die die meisten von uns kennen dürften, zu kämpfen haben: Auch der Cliffhanger am Ende des Bandes ist sehr interessant und macht mich ziemlich neugierig, wie die Geschichte weitergeht…

Zu guter Letzt möchte ich noch etwas zur Übersetzung sagen. Manga-Übersetzungen ins Deutsche haben oft das Problem, dass sich Sprache beim Lesen manchmal unrealistisch oder sogar unfreiwillig komisch anfühlen kann. Das kommt daher, dass Japanisch komplett anders funktioniert als europäische Sprachen und lange versucht wurde, korrekt statt sinngemäß zu übersetzen. Zum Glück rückt man mittlerweile von dieser Taktik ab und Übersetzer Gandalf Bartholomäus hat sprachlich wirklich ganze Arbeit geleistet: Der Manga liest sich gut und vor allem glaubhaft. Die Übersetzung arbeitet mit Jugendsprache, wobei diese aber nie übertrieben oder unglaubwürdig à la Jugendworts des Jahres wirkt, sondern so, wie Jugendliche in Ryos, Jins und Itsukas Alter tatsächlich reden würden. Dadurch wirkt die Geschichte glaub- und ernsthaft statt unfreiwillig komisch.

Alles in allem stellt der erste Band von Boys Run The Riot einen gelungenen Auftakt zu einer vierteiligen Reihe dar, der meiner Ansicht nach nicht nur für trans Personen lesenswert ist.

Bewertung: 5 von 5 funklust-Logos

Autor:in: Cassandra Haas