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“Mit Sicherheit für Bayern” – Das Wahlprogramm der AfD

Am 08. Oktober 2023 wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Mit der Botschaft “Bayern zuerst!” wirbt die AfD in ihrem Wahlprogramm für ihre Forderungen rund um die Kernthemen Migration, Sicherheit, Wirtschaft und Bildung. Überzeugende Alternative, populistische Protestpartei oder eine Bedrohung für die Demokratie vom rechten Rand – womit ist bei der AfD für die kommende Wahlperiode zu rechnen?

Logo: Alternative für Deutschland (AfD)

Disclaimer: Unser Blick auf die umfangreichen Wahlprogramme der Parteien ist bewusst studentisch gewählt und behandelt dementsprechend drei Schwerpunktthemen, die wir als relevant für diese Zielgruppe identifiziert haben: Infrastruktur und Klima, Bildung und Wissenschaft sowie Gesellschaft und Demokratie.

Nachdem sich die bayerische AfD bei der Landtagswahl 2018 noch ohne festen Spitzenkandidaten präsentiert hatte, wird der Landesverband in diesem Jahr von einem Duo aus Martin Böhm und Katrin Ebner-Steiner in den Wahlkampf geführt. Beide werden dem 2020 formal aufgelösten rechtsextremen Flügel um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke zugerechnet und gelten als dessen Freunde. Im intern zerstrittenen Landesverband scheint sich das völkisch-nationalistische Lager also vorerst gegen das gemäßigtere Lager durchgesetzt zu haben. Während sich die beiden Spitzenkandidat:innen bei Wahlkampfauftritten mit entsprechender Rhetorik zu Flüchtlingen, Migrant:innen und der Politik aller anderen Parteien äußern, schlägt die AfD Bayern in ihrem Wahlprogramm zwar auch provokante, jedoch vergleichsweise unauffällige Töne an. Viele der zentralen Forderungen sind prägnant und bereits aus den bundespolitischen Forderungen der AfD bekannt. Die AfD Bayern sieht sich als alleinige Vertreterin und politische Heimat der “normalen Menschen” und will sich für Freiheit und die Beibehaltung des traditionellen bayerischen Lebensstils einsetzen. Der aus ihrer Sicht ideologisch geleiteten linksgrünen Bevormundung einer abgehobenen politischen Klasse stellt sich die Partei entgegen. Damit meint die AfD übrigens nicht nur die Ampel-Regierung auf Bundesebene, sondern offenbar auch die von der CSU geführte bayerische Landesregierung.

Energie, Klima und Mobilität

Dass die AfD Bayern auf viele drängende und komplexe Probleme der Gegenwart und Zukunft einfache Lösungen präsentiert, wird vor allem beim Thema Klimaschutz deutlich. Wenn es nach der AfD geht, ist jegliche Klimapolitik ideologisch und illusorisch, denn der Klimawandel sei natürlich und nicht menschengemacht und könne ohnehin nicht von Bayern oder Deutschland aus beeinflusst werden. Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels wie etwa der Umstieg auf erneuerbare Energien und eine Verringerung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor lehnt die AfD ab. Vielmehr müsse die Infrastruktur dem Klima angepasst werden. Um bezahlbare Energie und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müssten Kernkraftwerke wieder in Betrieb genommen und weiter an sicherer Kernkraft geforscht werden. Wind- und Solarenergie hält die AfD für ineffizient und lehnt sie gerade aus Gründen des Umweltschutzes ab. Auch das Thema Mobilität und Verkehr stellt die AfD in keinen Zusammenhang mit Klimaschutz. Während die anderen Parteien um die besten Lösungen streiten, wie die Verkehrswende nachhaltig, ökonomisch und sozial gerecht gestaltet werden kann, hält sich das AfD-Wahlprogramm kurz: Das (Diesel-)Auto sei mittlerweile sehr umweltfreundlich, Elektromobilität ein Irrweg, das Straßennetz und der Öffentliche Nah- und Fernverkehr sollen verbessert werden.

Bildung und Wissenschaft

Bei der Pressevorstellung des Wahlprogramms im Juli ließ Spitzenkandidat Böhm mit einer Idee für das Schulsystem aufhorchen, die gar nicht im Wahlprogramm steht: Damit Kinder mit Deutsch als Muttersprache eine vernünftige Bildung bekommen, sollen die Nicht-Muttersprachler:innen getrennt “in ganz besonderen Klassen weitergebildet werden.” Bleibt man beim Wortlaut des Wahlprogramms, sind der “Niedergang des Bildungsniveaus” und ein “Mangel an Bewusstsein und Wertschätzung für unsere Kultur” die Wurzel vieler Probleme. Mit neuen Ideen zur schulischen Bildung hält sich die AfD hier ansonsten weitestgehend zurück. Sowohl in Bezug auf Bildung als auch auf die Wissenschaft fordert die AfD mehr Rede- und Gedankenfreiheit sowie den Mut und die Fähigkeit, Ideologien kritisch zu hinterfragen und auch “von der herrschenden Meinung abweichende” Sichtweisen zuzulassen. Demgegenüber stünden ideologisierte und politisierte “Klimaforschung” und “Gender-Ideologie” an Hochschulen sowie “linksgrüne Indoktrination an Schulen”, welche die AfD unterbinden möchte. Gerade zwischen den Zeilen wird sehr deutlich, dass die Politik der AfD ein ambivalentes Verhältnis zur Wissenschaft aufweist. Forschung zu Klimawandel, gendersensibler Sprache oder Geschlechtsidentität wird als ideologisch, politisch motiviert oder nicht den wissenschaftlichen Standards entsprechend angezweifelt. Die weiteren Forderungen rund um Ausbildung und Studium bleiben im Programm ansonsten entweder vage (Hochschulen besser ausstatten, Ausbildungsberufe wertschätzen, bestmögliche Bedingungen gewährleisten) oder zielen auf einschneidende Veränderungen ab – so will die AfD etwa das Bachelor- und Master-System auslaufen lassen und englischsprachige Studiengänge abschaffen.

Gesellschaft und Demokratie

Geht es um gesellschaftliches Zusammenleben und sozialpolitische Fragen, macht die AfD klar, wo ihre Prioritäten in Bayern liegen: Die Heimat, die Freiheit, der Wohlstand und der “Fortbestand unseres Volkes” stehen an erster Stelle. Die meisten Forderungen im Wahlprogramm leiten sich aus Bedrohungen für diese Werteordnung ab: Unkontrollierte Masseneinwanderung gefährde zum Beispiel die soziale Sicherheit und benachteilige Deutsche beim Zugang zu Wohnraum. Deshalb fordert die AfD im Wahlprogramm zuallererst, die Migration in die Sozialsysteme zu beenden. Für mehr sozialen Wohnungsbau will sich die AfD einsetzen; wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte wie etwa Mietpreisbremsen werden im Programm als “sozialistisch” bezeichnet und daher abgelehnt. Gesellschaftliche Entwicklungen hinsichtlich der Gleichstellung und Vielfalt der Geschlechter, zum Beispiel Quotenregelungen oder gendersensible Sprache, lehnt die AfD strikt als linksgrüne Bestrebungen zur Umerziehung und Indoktrination ab. Gleichstellung sei bereits ausreichend durch das Grundgesetz garantiert. Die ebenfalls im Grundgesetz verankerte Freiheit von Meinung und Ausdruck sieht die AfD durch staatliche Zensur und Propaganda der öffentlich-rechtlichen Medien beschränkt, hier sieht die Partei deshalb Handlungsbedarf: Der Rundfunkbeitrag soll abgeschafft und in Bayern stattdessen der sogenannte “Grundfunk” eingeführt werden.

Rechtsextremismus und die AfD: “Die wahren Gefahren lauern woanders”

Bemerkenswert ist die Haltung der AfD zum Thema Rechtsextremismus. Derzeit wird die Bundespartei vom Verfassungsschutz als sogenannter Verdachtsfall geführt und steht damit unter nachrichtendienstlicher Beobachtung. Auch die AfD-Landesverbände aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg gelten als Verdachtsfall, die AfD in Thüringen unter Björn Höcke sogar als rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt. Gleiches gilt für die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA). Der Landesverband der AfD in Bayern steht derzeit unter der Beobachtung des Bayerischen Landesverbandes für Verfassungsschutz. Auf den Vorwurf des Rechtsextremismus, mit dem sich die Partei und einige ihrer Mitglieder also selbst immer wieder konfrontiert sehen, geht die AfD Bayern in ihrem Programm nicht direkt ein. Sie formuliert stattdessen allgemein, dass sie jede Form des Extremismus ablehne.

Anschließend bezeichnet sie den “Kampf gegen Rechts” allerdings als einseitig und unverhältnismäßig aufgebläht. “Vielfach größere und substanziellere Gefahren” stellen ihrer Ansicht nach Linksextremismus, religiöser (insbesondere islamischer) Fanatismus sowie der “Klimaextremismus” von Gruppen wie der “Letzten Generation” dar. 

Mit Populismus zum Erfolg

Im Vergleich zu Gesamtdeutschland und den anderen Bundesländern befindet sich die AfD im bayerischen Wahlkampf in einer besonderen Situation, denn mit den Freien Wählern konkurriert neben der CSU noch eine weitere Partei um die Stimmen der bürgerlich-konservativen Wähler:innen. Ob es die AfD Stimmen kosten wird, dass die beiden aktuell regierenden Parteien im Wahlkampf selbst zunehmend beziehungsweise gewohnt populistisch auftreten, wird sich zeigen. Den Freien Wählern scheint die Flugblatt-Affäre von Parteichef Hubert Aiwanger jedenfalls einen Aufwind beschert zu haben. Der Vorteil der AfD: Sie kann sich darauf beschränken, sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung zu kritisieren – das umfasst immerhin alle anderen großen Parteien außer der Linken. So kommt das Wahlprogramm mit einfachen Forderungen, vielen Schuldzuweisungen und einem guten Gespür für die Unzufriedenheit ihrer politischen Zielgruppe aus, ohne sich mit komplizierten politischen Zusammenhängen und Lösungen auseinanderzusetzen. Mit Erfolg: In derzeitigen Wahlumfragen erreicht die AfD ein Ergebnis von 12 bis 14% – also mehr als bei der letzten Landtagswahl, bei der sie auf 10,2% kam. Bleibt es bei der erwarteten Fortsetzung der Regierungskoalition von CSU und Freien Wählern und dem schwächelnden Trend der Grünen, kann die AfD damit auf den Titel der stärksten Oppositionspartei hoffen.

Autor: Janno Reincke