Internetphänomen „brat summer“. Charli XCX bringt uns einen neuen Trend und erobert zugleich mit ihrem neuen Album „brat“ nicht nur Social Media, sondern auch die Musikcharts. Nicht umsonst wird das Album mit dem giftgrünen Cover jetzt bereits als Pop-Masterpiece bezeichnet.
Ganz Social Media ist voll von giftgrünen Outfits, Cocktails und allem Möglichen – hauptsache, es ist in der Farbe des Albumcovers. Überall wird zum Song „Apple“ choreographiert, der es eigentlich fast gar nicht ins Album geschafft hätte, aber jetzt als TikTok-Sound extrem gefeiert wird. Am 7. Juni veröffentlichte die 31-jährige Künstlerin ihr gut 40 Minuten langes Album. Zusammen mit den 15 Songs kommt auch der „brat summer“. Doch was hat es mit diesem auf sich? Der „brat summer“ oder auch „brat girl summer“ ist ein neuer Lifestyle bzw. eine neue Ästhetik, die mehr denn je auf Social Media präsent ist. Es geht darum, diesen Sommer eine richtige „brat“ zu sein. Wortwörtlich übersetzt ist eine „brat“ eine Rotzgöre, also ein unerzogenes, eher ungepflegtes und freches Mädchen. Doch Charli, mit vollem Namen Charlotte Emma Aitchison, gibt der Sache einen gewissen Twist. Für sie ist ein „brat girl“ ein Mädchen, dass ein bisschen chaotisch ist, gerne Party macht und manchmal unverblümt über Dinge spricht. Motto des Lebensstils ist: Spaß haben und sich nicht schämen, einfach du selbst sein, auch abseits von den Standards der Gesellschaft. Im Endeffekt erhält der Begriff dadurch eine positivere Konnotation und ist freier definierbar. Basics eines „brat girls“ sind laut der Britin: „Eine Schachtel Zigaretten, ein BIC-Feuerzeug und ein weißes Top ohne BH“. Im „brat girl summer“ gibt es auch in Sachen Mode eine gewisse Tendenz: der Y2K- Stil zusammen mit dem Stil der frühen 2000er und der Indie-Sleaze-Look der frühen 2010er-Jahre haben ihr Comeback.
Die „brat girl summer aesthetic“ steht übrigens ganz im Gegensatz zur „clean girl aesthetic“. Eine brat lässt sich nämlich nicht vorschreiben, welche Pilates-Übungen sie zu machen hat, macht sich wenig Sorgen um perfektes/„cleanes“ Aussehen und geht auch mal mit Make-Up ins Bett. Ebenso wird dem Barbie-Hype ein Ende gesetzt. Um sich den Ausmaßen des Trends bewusst zu werden, sollte man einen Blick in die USA werfen. Nach dem viralen Tweet „Kamala IS brat“ von Charli XCX sprang die Kandidatin der Demokraten und ihr Wahlkampfteam auf den Trend auf und passte zum Beispiel ihr Bild auf X dem Album-Cover an. Kleiner side fact am Rande: das Albumcover hat Charli bewusst gewählt – relativ einfach und eine ekelige Farbe, die Aufmerksamkeit erregt. Ebenso machen sich andere Firmen wie Flixbus die Viralität des Trends zu Nutze und „bratcoden“ ihre Werbung. Aber am besten verkörpert den Trend natürlich Charli selbst.
Doch sollte man ihr sechstes Album jetzt keineswegs auf das brat-Motto oder den Trend reduzieren. In erster Linie soll ihr Album ein Dance-Album sein. Denn jeder einzelne Song könnte in einem Club spielen. Das Album soll also bewegen, aber auch berühren. Wer denkt, das Album besitze keine Tiefe, liegt falsch. Charli berichtet von ihren Selbstzweifeln, dem Imposter-Syndrom, weiblichen Freundschaften und denkt sowohl über Vergangenheit als auch Zukunft nach. Dabei hat sich Charli weniger Gedanken über die traditionellen Songwriting-Techniken gemacht, wie zum Beispiel Reimen, sondern unverblümt und chaotisch drauflosgetextet. Dadurch erhält das Album eine gewisse Authentizität, die zusammen mit einer Mischung aus ‚einfach Mal fallen lassen‘ und ‚overthinking‘ interagiert.
Vor allem die Songs „I think about it all the time”, „So I”, „I might say something stupid”, „Girl, so confusing” und „Sympathy is a knife” haben einen gewissen Tiefgang. In „I think about it all the time“ thematisiert Charli XCX ihre Ängste, die bestimmt nicht nur sie sich in ihren früher 30ern stellen muss. Eine der Ängste ist die Frage nach dem Kinderwunsch: Die Sängerin schwankt zwischen ihrer Freiheit und dem Pille-Absetzen. „So I” widmet sie der von ihr geschätzten Freundin und Sängerin Sophie, die 2021 verstarb. In “I might say something stupid” spricht die Sängerin über ihre Selbstzweifel und die Angst vor Zurückweisung. Ähnlich ist es in den Songs „Girl, so confusing” und „Sympathy is a knife”. Bei ersterem thematisiert sie das Frausein und bei letzterem erhalten ihre Selbstzweifel einen gewissen Höhepunkt: Sie singt davon, dass sie sich eine Pistole kaufen will. Der Auslöser: Eifersucht. Wie aufrichtig Sympathie wirklich ist, ist die Frage, die sie sich hier im Song stellt.
Neben den tiefen Einblicken in Charlis Gefühlswelt gibt es einige nostalgisch anmutende Songs, wie „Rewind“, „Von dutch“ und „Club classics“. „Rewind“ ist eine Mischung aus Selbstzweifeln, die in der Nostalgie ihren Ursprung finden: Sie will zurück zu den Zeiten, in denen sie sich noch nicht so unsicher über alles Mögliche war. Die anderen beiden Songs sind eher im Hinblick auf die Musik nostalgisch. „Von dutch“ soll das innere Party-Girl wecken und erinnert an die Party-Klassiker der 2010er Jahre im Stil von Lady Gaga, Katy Perry und Kesha. Bei „Club classics“ vermischt sie verschiedene Club-Sounds und -Genres wie zum Beispiel Jersey Club, House und Dubstep miteinander.
Zum musikalischen Aspekt des Albums bleibt zu erwähnen, dass Charli XCX schon lange nicht mehr darauf aus ist, radiofreundliche Songs zu produzieren. Mittlerweile zieht sie ihr eigenes Ding durch und revolutioniert den Pop bzw. Hyperpop. Ihr Album ist dennoch eine Mischung aus dem „konventionellen“ Pop der späten 2000er und futuristisch wirkenden Hyperpopklängen. Das bedeutet utopische Klänge, viele Effekte, Filter, Synthesizer-Motive und Autotune. Charli variiert den Sound und baut beispielsweise wie in „Mean girls“ ein Piano-Sample mitten in die Hyperpo-Landschaft ein.
Der erste und letzte Song von „brat“ sind ebenfalls beachtenswert. „360“ und „365“ sind sich musikalisch und melodisch relativ ähnlich, allein die Dynamik ändert sich. Charli beschleunigt „365” und setzt da an, wo „360” aufgehört hat. „365” beschränkt sich thematisch auf Club-Aktivitäten und schließt das Album als Party-Hit ab. „360” hingegen trieft nur so vor Selbstbewusstsein und stellt Charli in den Mittelpunkt. Das wird auch im Musikvideo passend zum Song thematisiert. Dort wird der übersteigerte Narzissmus ironisch gebrochen. Zur Wahl einer neuen It-Königin sind an einer Tafelrunde die „It-Girls“ unter den Promis, wie zum Beispiel die Schauspielerin Julia Fox, das Model Richie Shazam oder Internetstar Emma Chamberlain, versammelt. Ihre Wahl fällt überraschenderweise auf die anonyme Kellnerin, die die Tafelrunde bewirtet. „It-Girls“ sind diejenigen, die besonders auf ihre Repräsentation in den sozialen Medien achten und meist ein relativ großes Ego besitzen.
Abgesehen von der prominenten Besetzung des Musikvideos zu „360“ hat Charli keinerlei Features auf „brat“. Aber mittlerweile gibt es einige Remixe und Versionen von Songs des Albums, die bereits von Charli XCX veröffentlicht wurden, wie zum Beispiel eine Version von „Girl, so confusing” mit Lorde. Außerdem hatte die Sängerin am 10.06., also bereits 3 Tage nach der Veröffentlichung des Albums, ein weiteres mit dem Titel „Brat and it’s the same but there’s three more songs so it’s not” veröffentlicht. Die drei weiteren Songs sind „Hello goodbye“, „Guess“ und „Spring breakers“, wobei es von „Guess“ mittlerweile auch eine Version mit Billie Eilish gibt.
Das Album ist meiner Meinung nach sehr stark und wundervoll „tanzbar“. Ich liebe es nämlich zu tanzen und die Clubs brauchen dringend Mal wieder neue Songs, gerne auch im Style der 2010er. Mein einziger Kritikpunkt ist an manchen Stellen der exzessive Gebrauch von Autotune. Ansonsten höre ich eigentlich fast jeden Song des Albums gerne, besonders empfehlen kann ich aber „Rewind“.
Autorin: Amelie Meier