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Rezension: Jasmin Schreiber – Marianengraben

Marianengraben Cover
Cover Marianengraben (c) Bastei Lübbe

Eine kleine Vorwarnung vorab: Wenn ihr nah am Wasser gebaut seid, ist Marianengraben entweder genau das richtige oder genau das falsche Buch für euch. Ich selbst muss sagen, ich bin eher von der Fraktion: “Ich weine nicht, du weinst!” und ich hab selten eine so schön- traurige Geschichte gelesen. Es gab Trauer- und Freudentränen. 

Das Leben liegt oft genau dazwischen. In der Trauer passieren oft die urkomischsten Geschichten. Und um genau diesen Zustand zwischen diesen beiden Emotionen, geht es in Marianengraben. Es geht um Trauer, um das Versinken, aber auch das Wiederauftauchen. 

Paulas Bruder Tim ist leidenschaftlicher Naturforscher. Er ist an allem interessiert, was in der Welt und der Natur um ihn herum passiert. Das Meer hat es ihm besonders angetan. Er möchte neue Krabben oder Fische in der Tiefsee entdecken und benennen. Paula und Tim haben ein sehr besonderes Verhältnis. Dann ertrinkt Tim.

Zwei Jahre danach beginnt die Geschichte. Paula ist am Boden. Genauer gesagt am Boden des Marianengrabens, knapp 11’000 m tief. Dann beschließt sie, auf den Rat ihres Therapeuthen, das Grab ihrer Bruders zu besuchen. Paula macht das dann auch. Und zwar mitten in der Nacht, wenn keine Besucher da sind, die sie komisch anschauen können. Paula ist ein bisschen seltsam. Aber wer könnte es ihr verübeln, wenn ein Mensch so plötzlich aus deinem Leben verschwindet? Auf dem Friedhof trifft sie Helmut. Helmut ist um die 80 Jahre alt und gerade dabei, die Liebe seines Lebens auszubuddeln. Mehr aus Zufall beginnt die Schicksalsgemeinschaft, welche die beiden auf eine Reise schickt, die geographisch in den Süden geht und emotional nach oben, hinaus aus den Tiefen des Marianengrabens führt. Eigentlich eine typische Roadtrip-Geschichte, bei der die Charaktere anders ankommen als sie losgefahren sind. Paula steckt zu Beginn des Buchs in ihrer Depression und Helmut ist ein relativ schrulliger alter Typ, der noch eine Sache erledigen muss, bevor er abtritt. In dieser Konstellation hilft die eine dem anderen und umgekehrt.

Es ist ein Buch, das euch auf eine Reise mitnimmt, von der ihr gar nicht wusstet, dass ihr sie gerade jetzt gebrauchen könnt. Die Selbstfindung in einen Roadtrip zu packen ist keine neue Idee, stört das Narrativ aber nicht im Geringsten. Es geht vor allem um die Stimmung, die vermittelt wird und die ist bei Marianangraben eine sehr besondere. Einfühlsam, ruhig und manchmal völlig verrückt.

Es ist schwierig, über ein Buch zu schreiben, das den Leser*Innen eine so filigrane Gefühlswelt mitnimmt. Auch wenn ich selbst noch nie in Paulas Situation war, fühle ich jede Emotion mit. Ich leide und lache mit ihr und Helmut, begleitet sie auf ihrer Reise der Verarbeitung, des Abschließens und des Abschiednehmens. Immer mit dabei in Paulas Geschichte sind die Erinnerungen an ihren toten Bruder und ihre gemeinsame Erlebnisse. Die Natur spielt auch eine große Rolle. Sie wird oft sehr detailliert beschrieben und wird so zu einem weiteren Protagonisten im Roman. Nach und nach entdeckt man auch die Geschichte von Helmut, wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass er die Liebe seines Lebens ausbuddelt und sich mit seinem Wohnmobil auf eine Reise macht, die vielleicht auch seine letzte ist.

Beim Lesen merke ich, dass Jasmin Schreiber weiß, wovon sie spricht. Erst nach der Lektüre finde ich heraus, dass sie nicht nur Biologie studiert hat, sondern auch einen Blog über das Sterben hat. Sie hat Sternenkinder fotografiert, also Kinder, die noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Das erklärte für mich die Feinfühligkeit, mit der der Roman das Thema sterben und Tod thematisiert. Es ist eine Geschichte, die mich Tage nachdem ich es fertig gelesen habe, beschäftigt hat und zwar auf eine sehr angenehme Art und Weise.

Autorin: Lea Maria Kiehlmeier